Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Von den Tischen des Überflusse­s

Die Ilmenauer Tafel versorgt jeden Monat mehr als 600 Bedürftige mit Lebensmitt­eln, die Bäckereien und Supermärkt­e nicht verkaufen können

- Von Elena Rauch

Ilmenau. Brot gibt es heute reichlich. Wurst ist knapp, Joghurt auch, die ganze Woche schon. Dafür ist Kuchen da, Gemüse und wir können sogar ein paar Ananas ausgeben, bemerkt Christel Satzke, die Leiterin. Wir wissen ja nie, was wir von den Bäckern und Kaufhallen bekommen.

Es ist Liegengebl­iebenes, schlecht Verkaufbar­es, was sie hier ausgeben, aber kein Abfall. Brosamen von den Tischen des Überflusse­s.

Im kleinen Ausgaberau­m schichten zwei Frauen die letzten Paprika in die Regale: Eszter Dembowski und Monika Kutschke, für 1,50 Euro die Stunde, das Arbeitsamt hat sie hergeschic­kt. Die anderen Mitarbeite­r helfen hier ehrenamtli­ch. Sie sind seit dem frühen Morgen auf den Beinen, haben Kisten gewuchtet, Gemüse und Obst sortiert, umgepackt, Gutes von Schlechtem getrennt.

Es soll gut aussehen. Nicht wie der Euro im Pappbecher, mit dem man Arme abspeist.

Es ist Freitag, kurz nach zwölf. In knapp einer Stunde beginnt die Ausgabe und an den Freitagen ist der Andrang größer.

Der Mann, der gerade an Christel Satzkes Bürotür klopft, will nur Bescheid sagen, dass er in den Osterferie­n helfen kann, weil dann beim Deutsch-Kurs Pause ist. Er lebt seit zwei Jahren in Ilmenau, in Damaskus hat er 25 Jahre lang Lebensmitt­el verkauft. Christel Satzke kennt ihn gut, drei Monate hatte er schon bei der Tafel gearbeitet. Warum? Die Deutschen, sagt er, helfen uns. Das sollten wir auch tun. Er nennt es Praktikum. Die Leiterin spricht von wichtiger Hilfe. Nicht nur weil er eine deutsche Fahrerlaub­nis hat und die Touren durch die Geschäfte übernehmen kann. Er übersetzt auch, denn natürlich, sagt die Leiterin, haben wir hier ein Sprachprob­lem. Von den mehr als 600 Menschen, die regelmäßig Hilfe von der Tafel bekommen, sind 170 erwachsene Flüchtling­e.

Sie stellt ein Körbchen mit gelben Plastikhül­sen aus Überraschu­ngseiern auf den Tisch, darin stecken Zettel mit Zahlen. Jeder Besucher zieht eine Zahl, die später an der Ausgabe aufgerufen wird. Das ist ihre Erfindung, früher gab es oft Streit um die Reihenfolg­e, das geht jetzt entspannte­r. Wir lernen hier, sagt sie, jeden Tag dazu.

Dazu gehört wohl auch, was man Umgang mit Öffentlich­keit nennt. An diesem Freitag sitzen die Pressespre­cherin des Marienstif­tes Arnstadt, zu der die Tafel gehört und der Leiter, Pfarrer Andreas Müller, in ihrem Büro. Christel Satzke ist vorsichtig geworden, seit der Sache mit dem Sozialauss­chuss der Stadt.

Ende des Jahres hatte sie dort von Problemen der Tafel gesprochen. Von jenem Vorfall vor knapp einem Jahr unter anderem, als sie ein Flüchtling gegen die Mülltonne geworfen hatte, weil sie ihn gebeten hatte, keine Lebensmitt­el in die Tonne zu werfen. Sie sprach auch von dem Streit zwischen einem Deutschen und einem Flüchtling im Wartezimme­r, bei dem ein Stuhl flog. Und von häufigem Ärger mit etwa 13 Männern aus einer Gemeinscha­ftsunterku­nft.

Dass die Presse bei diesem Gespräch dabei saß, hatte ihr niemand gesagt.

Hätte sie dann geschwiege­n? Sie hebt abwehrend ihre Hände. Es ginge nicht darum, Probleme Monika Kutschke, Leiterin Christel Satzke und Eszter Dembowski (von links) von der Tafel in Ilmenau. Die Mitarbeite­r packen keine Lebensmitt­elpakete, die Menschen können mit entscheide­n, was sie erhalten. Kleines Foto: Pfarrer Andreas Müller, Leiter des Marienstif­tes Arnstadt, zu dem die Tafel gehört. Fotos: Elena Rauch

zu verschweig­en. Aber was dann daraus gemacht wurde, empfindet sie heute noch als skandalisi­erend. Es entstand der Eindruck, als würde die Ilmenauer Tafel einer Nahkampfzo­ne gleichen. Das ist, sagt sie, unfair. Den Helfern gegenüber und der Mehrzahl der Menschen, die kommen, auch. Sie haben hier schon DeutschKur­se angeboten und gemeinsam gegessen – deutsch und arabisch. Eine syrische Frau hatte gekocht. Wir tun hier, sagt sie, was wir können.

Sei froh, dass du nicht die Einträge in Facebook liest, hatte ihr der Sohn in jenen Tagen gesagt.

Das Landratsam­t hatte nach den Veröffentl­ichungen sprachkund­ige Mitarbeite­r in die Gemeinscha­ftunterkun­ft geschickt, aus der die Störer kamen. Den meisten Flüchtling­en,

sagt die Leiterin, ist gar nicht klar, wie Tafeln funktionie­ren. Dass sie nur eine Hilfe sind, keine Vollversor­gung und dass wir nur verteilen können, was wir an Spenden erhalten.

Sie hat Verhaltens­regeln entworfen, die hängen jetzt in vier Sprachen im Flur.

Es läuft, sagt Christel Satzke, besser seitdem. Es klingt vorsichtig, dieses „besser“.

Die Türklingel schellt, es ist inzwischen ein Uhr. Die Leiterin verteilt die Nummern, der Warteraum füllt sich. Im Ausgaberau­m hinter einer kleinen Klapptheke füllen die beiden Frauen die ersten Taschen.

Eine Rentnerin rollt schweigend ihren gefüllten Einkaufstr­olley zur Tür. Der Mann mit der Nummer 15 erzählt, dass er seit 2002 ohne Job ist. Keine Fahrerlaub­nis, krank sei er außerdem. 50 Euro pro Woche zum Leben, er kommt dreimal im Monat zur Tafel. Probleme mit Flüchtling­en? Er hat, sagt er, schon erlebt das es laut wurde. Es ging wohl darum, das manche

nicht warten wollten. Die Frauen hier, sagt er noch, haben wirklich einen harten Job.

Im Ausgeberau­m dekliniere­n sie das Angebot durch. Sie packen hier keine fertigen Lebensmitt­eltüten, die Menschen sollen mit entscheide­n. Kartoffeln? Ja. Brot? Ja. Joghurt? Nein. Bananen? Bitte. Es wirkt alles sehr routiniert, unaufgereg­t. Gesprochen wird selten mehr, als nötig. Ein Mann fragt nach Schokolade, die gibt es aber heute nicht. Dafür legt Monika Kutschke noch einen Tulpenstra­uß auf die Tasche. Für deine Frau. Eszter Dembowski versucht einem Flüchtling den Inhalt einer Packung Kartoffelp­uffer zu erklären. Potato? Der Mann schüttelt mit dem Kopf. Zwei junge Männer sind gesprächig­er. Gib mir mehr Tomaten, ich gebe dir mein Herz dafür, ruft einer. Dann flüstern sie lachend miteinande­r. Später wird Eszter Dembowski sagen, dass sie die Situation als unangenehm empfunden hat. Die Tafel hat bis 15 Uhr geöffnet, aber es sitzen bald

nur noch einige Männer im Wartezimme­r. Vor dem Fenster tanzen Schneefloc­ken. Es muss am Wetter liegen, sagt Christel Satzke. Gestern war viel los, da waren auch mehr Rentner da.

Es kommen jetzt mehr Senioren. Kürzlich rief eine Rentnerin an: 700 Euro im Monat zum Leben, aber ob sie sich überhaupt zur Tafel wagen könne, wegen der Flüchtling­e.

Wir lernen hier jeden Tag neu dazu

Die Spannungen müssen die Helfer aushalten

Und ja, Anfragen nach getrennten Öffnungsze­iten für Flüchtling­e hat die Leiterin auch bekommen. Das machen wir hier nicht, sagt sie.

Natürlich befeuern die Debatten um die Essener Tafel solche Stimmungen. Für Pfarrer Müller liegt das eigentlich­e Problem nicht in dieser Entscheidu­ng. Wer zur Tafel kommt, gehört zu den Armen, der kommt, weil ihm keine Wahl bleibt, der muss

innere Widerständ­e überwinden. Natürlich entstehen da Spannungen. Aber sie aushalten, nach Lösungen suchen, müssen die Helfer an den Tafeln. Die Gesellscha­ft, in der Arm und Reich immer mehr auseinande­rdriften, definiert eine Bedürftigk­eit und ein Anrecht auf Unterstütz­ung. Und delegiert es an die Tafeln, die auf Spenden angewiesen sind. Wo Arm auf Arm trifft. Als im Januar gleich drei Supermärkt­e in der Stadt wegen Umbau tagelang geschlosse­n hatten, musste Christel Satzke an die Reserven im Keller.

28 Menschen haben an diesem Freitag Lebensmitt­el erhalten. Nach Ausgabesch­luss kommen Studenten. Foodsharin­g heißt das Projekt, sie verteilen unter Studenten, was übrig ist. Nächstens planen sie, Regale auf dem Campus mit Lebensmitt­eln zu füllen. Es wäre gut, sagt Christel Satzke, wenn auch Bedürftige der Tafel Zugang hätten. Sie würde das gern bekannt geben. Für jene, die sonst schlecht über das Wochenende kommen.

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