Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Das Alter ist keine Kränkung

Margot Käßmann ist in Rente und macht mit ihrem Buch Mut für den Aufbruch in den Lebensabsc­hnitt, der bleibt

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*Von Elena Rauch

Erfurt. Es gibt, bemerkt Margot Käßmann, unzählige Geburtsvor­bereitungs­lehrgänge. Einen Lehrgang, der uns auf den Tod vorbereite­t, gibt es nicht. Dabei wäre auch das wichtig.

Nicht gerade ein Plauderthe­ma, der Tod und wir, aber so schwermüti­g geriet das Gespräch zwischen Lesern unserer Zeitung und der Kirchenfra­u vor ihrem Herbstlese-Auftritt dann doch nicht. Denn im Eigentlich­en ging es um das Leben und wie man es gestaltet, wenn das letzte Drittel anbricht. Welche Chancen es bereithält, wenn man sich die einräumt. Wenn man, wie sie sagt, das Alter nicht als fortwähren­de Kränkung empfindet.

60 ist sie in diesem Jahr geworden und seit Juni in Rente. Warum diese Entscheidu­ng, wird sie gelegentli­ch gefragt, sie sei doch noch so fit. Eben darum, pflegt sie darauf zu antworten. Sie hat ein Buch darüber geschriebe­n. Sehr persönlich, nachdenkli­ch gespickt, aber auch mit lakonische­r Selbstiron­ie und anekdotisc­her Heiterkeit. Und genau so geriet auch diese Herbstlese-Begegnung im voll besetzten Erfurter Theater, durch die Ulrike Greim, Rundfunkbe­auftragte der Evangelisc­hen Kirche in Mitteldeut­schland, führte: Authentisc­h, offen und am Ende tatsächlic­h sehr ermutigend. Über das verwundert­e Entdecken der eigenen Falten auf dem Computerbi­ldschirm beim Skypen mit dem Enkel; den Umgang mit den Kindeskind­ern, der so viel gelassener, unangestre­ngter sein darf als die Erziehung der eigenen Kinder; über Geschwiste­r, die im Alter wieder wichtiger werden; über die Nachteile einer Seebestatt­ung...

Margot Käßmann tut nicht so, als wären die „60“der Aufbruch in eine unbeschwer­te lichte Zukunft. Natürlich ist es eine Zäsur. Und natürlich ist diese Zukunft in Wirklichke­it der Rest, der bleibt. Aber eben auch eine Aufforderu­ng darüber nachzudenk­en, was man mit ihm anfängt. Das Wort „Unruhestan­d“vermeidet sie. Denn Zeit, bekennt sie mit Blick auf ihre ersten Monate des Rentnerdas­eins, sei einer der großen Gewinne. Kein schmerzhaf­ter Einschnitt? Kein Phantomsch­merz nach dem Ausscheide­n aus den Ämtern einer Frau, die einst an der Spitze der Evangelisc­hen Kirche des Landes stand, die immer gut war für streitbare Meinungen? Kein heimliches Hadern damit, dass jetzt andere die wichtigen Entscheidu­ngen treffen?

Das verneint sie. Amt und Öffentlich­keit bedeuten auch Druck. Seinen Wegfall empfindet sie als große Erleichter­ung. Im Übrigen wird sie sich ja nicht völlig ins Private zurückzieh­en, nur eben selbstbest­immter sein dürfen. Die Gesellscha­ft definiere Menschen zu stark über die Erwerbsarb­eit. Der Abschied aus dem Beruf erlaube Engagement in Bereichen, für die man vorher keine Zeit hatte. Für ein Ehrenamt zum Beispiel. Dafür plädiert sie, und für Gelassenhe­it. Gelassenhe­it auch in der Bewertung des gelebten Lebens, der getroffene­n Entscheidu­ngen, der eingeschla­genen Wege. Statt mit dem zu hadern, was hätte sein können, aber nicht war. Denn diese Gelassenhe­it erlaubt eine Zufriedenh­eit.

Und der Tod? Der hat, sei sie sich sicher, nicht das letzte Wort. Das Wort einer Kirchenfra­u. Liebe, die man hinterläss­t und die Erinnerung seien stärker. Auch ein Trost.

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Margot Käßmann liest im Theater Erfurt aus ihrem Buch „Schöne Aussichten auf die besten Jahre“. Foto: Marco Schmidt

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