Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Magenmedikament löst Wehen aus
Mediziner verteidigt Einsatz. Hebamme sieht Probleme bei der Dosierung. Mutter berichtet von Komplikationen
Erst wurden die Herztöne des Kindes schwächer, später musste ein Not-kaiserschnitt gemacht werden: Eine junge Thüringer Mutter, die anonym bleiben möchte, geht davon aus, dass dies Folgen des Medikaments Cytotec waren, das zur Einleitung von Wehen verwendet wird. Sein Wirkstoff ist Misoprostol – und nach Medienberichten sei es offiziell mit diesem Wirkstoff nur als Magenmedikament zugelassen und könne in Einzelfällen zu schweren Komplikationen bei Mutter und Kind und sogar bis zum Tod von Babys führen.
Hintergrund der Geburtseinleitung im genannten Fall sei ein vorzeitiger Blasensprung gewesen. „Ich war nur einen Tag über dem Termin“, so die Patientin. „Der Arzt sagte, es werde eine effektive Tablette verwendet. Eine Off-label-usetablette, um die Geburt schnellstmöglich einzuleiten“, erinnert sich die Mutter.
Während der Geburt habe sie schriftlich bestätigt, dass ihr das Medikament verabreicht werden dürfe, sagt sie. „Ich war mir in der Situation weder bewusst, welche Tragweite die Einnahme des Medikaments bedeutet, noch, dass es Alternativen zu der Tablette gegebene hätte“, sagt sie. „Eine halbe Stunde später bekam ich extrem schnelle aufeinanderfolgende Wehen. Sie waren sehr stark und zum Schluss hatte ich kaum Pausen zwischen den Wehen“, erinnert sie sich.
Nach der Einnahme kam es zu Komplikationen. „Die Herztöne von meinem Kind wurden schwächer, woraufhin ich einen Wehenhemmer bekam, um der Wirkung der Tablette entgegenzuwirken. Sogar zweimal nacheinander“, sagt sie. Nach zwei weiteren Stunden sei es dennoch zu einem Not-kaiserschnitt gekommen. „Aus meiner Sicht wurde die natürliche Geburt durch die Verwendung dieses Medikaments verhindert“, so die Patientin. „Bei uns ist das Gott sei dank aber alles gut ausgegangen.“
Dass es sich bei dem Medikament um Cytotec gehandelt habe, sei naheliegend. „Ich habe auf dem Arztbrief gelesen, dass das Medikament aufgeführt war“, sagt sie.
Der Leiter der Fachgruppe Geburtshilfe in Thüringen, Ekkehard Schleußner, hat auf Anfrage den Einsatz des Wirkstoffs Misoprostol zur Einleitung von Wehen verteidigt. Er ist Chefarzt und Professor an der Klinik für Geburtshilfe des Jenaer Uniklinikums und hält die Vorwürfe des unsachgemäßen Gebrauchs für eine „schlecht recherchierte und medial hochgekochte Geschichte.“
„Es gibt kein Medikament zur Geburtseinleitung, das so gut untersucht ist wie Misoprostol“, sagt Schleußner. Cytotec sei nur ein Produktname, in diesem Falle des Herstellers
Pfizer, der das Präparat letztlich als amerikanische Firma formal wegen möglicher Verbindungen zu Schwangerschaftsabbrüchen für den Einsatz in der Geburtshilfe zurückgezogen habe.
Laut Schleußner gibt es zum Wirkstoff Misoprostol Unmengen von Studien und wissenschaftliche Arbeiten, die dessen Sicherheit und Effektivität gezeigt hätten. Er selbst habe zwei Studien dazu gemacht. Es handele sich um einen Wirkstoff, der im Bereich des Magens als auch bei der Geburtseinleitung wirke.
Dass das Medikament gut untersucht sei, dem pflichtet auch die Jenaer Hebamme Antje Roth bei. Das Problem aus ihrer Sicht: die Dosierung von Misoprostol. „Tatsächlich ist mir als Hebamme bekannt, dass die Dosierung oftmals viel zu hoch angesetzt ist und dadurch die Frauen mit Wehenstürmen zu kämpfen haben“, sagt sie. In der Deutschen
Hebammen-zeitschrift hat sie dazu einen Artikel publiziert.
Zurück zu Ekkehard Schleußner: Der zugrundeliegende Botenstoff Prostaglandin komme im Körper bei vielen Gelegenheiten vor, insbesondere bei Entzündungen, sagt er. „Die Natur setzt bei der Geburt auf genau denselben Mechanismus.“Eine Studie unter Beteiligung der Jenaer Klinik, bei der vaginale und orale Misoprostol-präparate verglichen wurden, ergaben gerade beim jetzt in Verruf geratenen oralen Misoprostol die geringsten Nebenwirkungen.
Nach Angaben von Schleußner ist der Wirkstoff Misoprostol für die Indikation Geburtseinleitung zugelassen, in der konkreten Form von Cytotec jedoch nicht. Wegen des identischen Wirkstoffes komme das Medikament dennoch zum Einsatz. Das sei auch außerhalb des durch die Arzneimittelbehörde zugelassenen Gebrauches erlaubt, wenn man die Frauen entsprechend aufklärt und informiert und „wenn man die Gegenanzeigen beachtet“, so der Chefarzt. So werde die Anwendung unter anderem auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen. Generell gebe es in der Geburtshilfe und Kinderheilkunde viele Medikamente, die keine spezielle Zulassung für die Anwendung bei Kindern hätten, die aber dennoch verwendet würden.
Zur künstlichen Einleitung des Geburtsvorganges kommt es laut
Schleußner immer dann, wenn Gefahren für Mutter und Kind drohen, etwa bei Komplikationen, Bluthochdruck oder Diabetes oder wenn der Geburtstermin schon längere Zeit überschritten ist.
Zehn Prozent aller Schwangerschaften dauerten zehn Tage und mehr über den errechneten Termin hinaus. Die Gefahr, dass das Kind stirbt, steige bei Terminüberschreitungen über einer Woche um das Vier- bis Achtfache. „Wir schützen damit das Leben der Betroffenen und wollen zugleich die Kaiserschnittrate senken, die in Thüringen bei knapp 27 Prozent liegt. Wir wissen sehr gut, was wir da tun und handeln sehr verantwortungsvoll und überlegt“, sagt Schleußner.
Unterschiedliche Aussagen gibt es aus Thüringer Kliniken. Im Erfurter Helios-klinikum werde das Medikament zur Einleitung von Schwangerschaftsabbrüchen genutzt, nicht bei Geburten, heißt es auf Anfrage. Das Sophien- und Hufeland-klinikum in Weimar teilt mit: „Wir bitten um Verständnis, dass wir zu einzelnen Behandlungsstrategien und insbesondere zu konkreten Behandlungsverläufen keine Auskunft erteilen.“Das Srhwald-klinikum in Gera lässt ebenfalls offen, ob das Medikament zum Einsatz kommt. „Als Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums Jena schließen wir uns der fachlichen Sicht von Ekkehard Schleußner an“, heißt es.
„Es gibt kein Medikament zur Geburtseinleitung, das so gut untersucht ist wie Misoprostol.“Ekkehard Schleußner, Leiter der Fachgruppe Geburtshilfe in Thüringen