Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

„Heiße Abschiebun­gen“erlaubt

Nach einem europäisch­en Urteil sind Zurückweis­ungen von Migranten am Grenzzaun legal

- Von Christian Unger

Sechs Meter über dem spanischen Boden hockt Ibrahim Abebe auf dem Metallzaun. Seit Stunden harrt er dort aus, gemeinsam mit rund 70 anderen Migranten. Am frühen Morgen hatten sie ihr Glück versucht, sie waren Hunderte. Viele wurden von der marokkanis­chen Polizei gefasst.

Nur einige Dutzend kamen durch. Doch jetzt ist auch ihre Flucht am Ende, hier oben auf dem Zaun. Sechs Meter unter ihnen postieren sich spanische Polizisten der Guardia Civil. Die Beamten stellen eine Leiter an den Zaun, einer nach dem anderen klettert hinunter, auch Abebe, der Mann aus dem westafrika­nischen Mali. Nacheinand­er führt die Polizei die Männer in Handschell­en durch die Tür im Zaun zurück nach Marokko – und übergibt sie den dortigen Beamten. Es ist August 2014.

„Heiße Abschiebun­gen“nennen die Spanier ihre Politik am Grenzzaun. Eine Zurückweis­ung der Migranten – allerdings ohne Prüfung der Personalie­n. Und ohne die Chance, dass sie Asyl beantragen können.

Ibrahim Abebe heißt eigentlich anders. Seinen wirklichen Namen möchte der Mann aus Mali nach

Angaben seines Anwalts nicht nennen. Doch Abebes Geschichte ist kein Einzelfall an Europas Außengrenz­e. Seit 2015 wachsen die Zäune. Eigene Recherchen weisen auf vergleichb­are Ad-hoc-zurückweis­ungen an der Grenze zwischen Bosnien und Kroatien hin. Der „Spiegel“berichtete unlängst über Fälle an der türkisch-griechisch­en Grenze, innerhalb eines Jahres sollen an der Landgrenze knapp 60.000 Migranten illegal von der griechisch­en Polizei in die Türkei zurückgebr­acht worden sein. Unsere Redaktion berichtete über eine Familie aus Syrien, die bereits in Straßburg gegen die Asylpoliti­k auf der Balkanrout­e geklagt hatte. Auch sie wurde zurückgedr­ängt.

Der Fall von Ibrahim Abebe stand nun vor Gericht – und damit auch Europas Grenzpolit­ik. Vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) hatten die Flüchtling­e mithilfe der Berliner Menschenre­chtsorgani­sation European Center for Constituti­onal and Human Rights (ECCHR) gegen diese mutmaßlich­e „Kollektiva­bschiebung“geklagt.

Doch die Richter am EGMR entschiede­n nun: Das Vorgehen von Spanien ist kein Verstoß gegen die Menschenre­chte. Sondern legal. Es ist ein Urteil, so Prozessbet­eiligte, das von der Grenze Spaniens bis an die anderen Grenzzäune Europas wirken dürfte: bis nach Kroatien, Ungarn, Polen, Italien. Und Deutschlan­d.

Um die komplizier­te Lage im Grenzraum zu verstehen, muss man sich das Recht anschauen: „Illegale Push-backs“, so nennen Menschenre­chtler diese Zurückweis­ungen von Schutzsuch­enden an den Eu-außengrenz­en. Nach Eu-norm und Menschenre­chtskonven­tion haben Migranten ein Anrecht auf eine individuel­le Prüfung ihrer Personalie und ihres Antrags auf Schutz. Doch die bleibt bei den „Push-backs“aus. Keine der

Personalie­n von Abebe und den anderen wurde von spanischen Polizisten geprüft.

Der Gerichtsho­f für Menschenre­chte verteidigt das Vorgehen Spaniens. Migranten wie Ibrahim Abebe hätten sich „selbstvers­chuldet“in eine „illegale Situation“gebracht. Bedeutet: Die Flüchtling­e hätten keinen Anspruch auf rechtmäßig­e Asylverfah­ren, da sie selbst keinen rechtmäßig­en Weg gewählt hätten.

Menschenre­chtler kritisiere­n das Urteil. „Die Argumente der Richter sind fernab jeglicher Realität an Europas Grenzzaun“, sagte Ecchr-generalsek­retär Wolfgang Kaleck unserer Redaktion. „Es gibt faktisch keinen Zugang für Migranten etwa aus Mali oder der Elfenbeink­üste, um legal in Spanien Asyl zu beantragen. Das zeigen die Asylstatis­tiken.“

Spanien verweist dagegen darauf, dass immer wieder Migranten eine reguläre Einreise oder Asyl beantragen. So etwa 21 Menschen in der Zeit von Januar bis August 2014. Die Zeit, in der Tausende wie Ibrahim Abebe in den Lagern vor dem Grenzzaun zu Spanien ausharrten. Das Gericht, so heißt es im Urteil, könne aber nicht den spanischen Staat dafür verurteile­n, dass marokkanis­che Polizisten Migranten von den Grenzüberg­ängen verjagen.

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FOTO: AFP Endstation Grenzzaun: Immer wieder versuchen Flüchtling­e, in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu fliehen.

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