Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Erwartungen an Deutschland
Bundespräsident Frank-walter Steinmeier wirbt bei der Münchner Sicherheitskonferenz für ein stärkeres Europa. Das hat auch Auswirkungen auf die Bundeswehr
Es spricht Frank-walter Steinmeier, der Mahner und Warner. „Wir werden heute Zeugen einer zunehmend destruktiven Dynamik der Weltpolitik“, sagt der Bundespräsident. Er schlägt den Bogen von Russland, das mit der Krim-annexion gewaltsam Grenzen verrückt habe, über das expansive Vorgehen Pekings im Südchinesischen Meer bis zum „America First“-kurs von Präsident Donald Trump. Steinmeier eröffnet am Freitag die Münchner Sicherheitskonferenz. Er redet zu den rund 40 Staats- und Regierungschefs, 100 Ministern sowie Diplomaten und Sicherheitsexperten, die in die Bayern-metropole gekommen sind. Die Erwartungen an Deutschland und seine Rolle in der Welt sind groß.
Steinmeier reagiert darauf auf seine Weise: Gelegentlich pastoral im Ton gibt er an diesem Nachmittag den Prediger für eine bessere Welt. Der Auftritt beginnt mit einem flammenden Plädoyer für Europa: „Es ist unser stärkstes, unser elementarstes nationales Interesse.“In der Sicherheitspolitik stehe die Bundesrepublik in einer doppelten Verantwortung, so Steinmeier. „Für Deutschland ist die Entwicklung einer verteidigungspolitisch handlungsfähigen EU ebenso unabdingbar wie der Ausbau des europäischen Pfeilers der Nato.“Letzteres ist eine Beruhigungspille für die Osteuropäer, die sich durch Russland bedroht fühlen und auf den amerikanischen Schutz pochen.
Der Bundespräsident bekennt sich einerseits zu höheren Rüstungsausgaben. „Deutschland muss mehr beitragen für die Sicherheit Europas, auch innerhalb der Nato, auch finanziell.“Gleichzeitig warnt er vor einem Wettrüsten. Er will zurück zu einer „allgemeinen Respektierung des Völkerrechts“. Wie das ohne militärischen Druck in Libyen, Syrien oder im Irak funktionieren soll, sagt Steinmeier nicht. Diplomatische Verhandlungen haben dort wenig gebracht. Es triumphierten Kriegsherren wie Wladimir Putin,
Recep Tayyip Erdogan oder der libysche General Chalifa Haftar.
Mittlerweile ist die Bundeswehr zwar mit knapp 4200 Soldaten an zwölf internationalen Operationen beteiligt. In Afghanistan und im Nordirak bildet sie lokale Sicherheitskräfte aus, im Mittelmeer unterstützt die Fregatte „Mecklenburg-vorpommern“einen Nato-verband zur Terrorabwehr, im zentralafrikanischen Mali stellen deutsche Kräfte für die Un-mission „Minusma“eine Aufklärungskompanie.
Der Einsatz der deutschen Luftwaffe im Irak und in Syrien wackelt hingegen. Das Bundestagsmandat für die Luftraumüberwachung der
Bundeswehr läuft im März aus. Vor allem die SPD blockiert die weitere Mission der Tornadojets im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS). Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-karrenbauer (CDU) bringt am Freitag in München eine „Anpassung“des Mandats ins Spiel. Derzeit liefen Verhandlungen. Möglicherweise werde der Anteil Deutschlands in der Anti-is-koalition geringer.
Die Verbündeten haben für Deutschlands Zurückhaltung wenig Verständnis. „Deutschland ist ein unverzichtbarer Partner – aber es sollte seine militärische Präsenz weltweit erhöhen“, sagt ein hochrangiger Vertreter der amerikanischen Delegation in München. Er nennt als Beispiel die Beteiligung an der Us-geführten Marine-mission
„Sentinel“(Wache) am Persischen Golf, die die freie Handelsschifffahrt entlang der wichtigsten Ölroute der Welt schützen soll. „Wir wollen nicht zulassen, dass der Iran erneut Schiffe als Geiseln nimmt und die Sicherheit des Nahen Ostens gefährdet“, so der Amerikaner.
In London sieht man das genauso. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte im vergangenen Sommer eine Eu-operation am Golf ins Spiel gebracht. Doch die Idee verpuffte – auch weil die Bundeswehr nicht über genügend Schiffe verfügte.
„Deutschland muss mehr beitragen für die Sicherheit Europas, auch innerhalb der Nato, auch finanziell.“Frank-walter Steinmeier
Muss Deutschland eigene Kampftruppen aufstellen?
Selbst Frankreich ist Deutschland international zu passiv. So wünscht sich Paris mehr deutsche Unterstützung beim Kampf gegen islamistische Terroristen in Mali. „Wir wissen, dass Sicherheit und Verteidigung immer ein heikles innenpolitisches Thema in Deutschland ist – aber in der Sahelzone steht Frankreich weitgehend allein“, erklärt ein hochrangiges Mitglied der französischen Delegation in München. Vor Kurzem hatte Frankreich sein Kontingent in Mali von 4500 auf 5100 Soldaten aufgestockt. „Mittel- und langfristig muss man sich auch in Deutschland Gedanken über eigene Kampftruppen machen“, fügt der Diplomat hinzu. Der Franzose beklagt vor allem den schlechten Zustand der Bundeswehr, etwa die Pannenserie beim Schützenpanzer „Puma“. Die deutschen Streitkräfte müssten ihr Beschaffungswesen komplett reformieren.