Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Kommt Weinstein frei?

In ihrem Schlussplä­doyer versucht die Anwältin des Ex-filmproduz­enten, die Jury von seiner Unschuld zu überzeugen

- Von Dirk Hautkapp

„Sie hat das letzte Wort“, sagte Harvey Weinsteins Anwältin Donna Rotunno vor Beginn des 28. Verhandlun­gstages im Vergewalti­gungsproze­ss gegen den ehemaligen Hollywood-mogul. „Und das letzte Wort ist eine machtvolle Angelegenh­eit.“Sie, das ist Joan Illuzzi-orbon. Die Chefankläg­erin versuchte am Freitag nach Kräften zu zerstören, was Rotunno unter skeptische­r Anteilnahm­e der weltweiten #Metoo-bewegung zuvor in ihrem Schlussplä­doyer ausgebreit­et hatte.

„Der Angeklagte war der Herr des Universums. Und die Zeugen waren nur Ameisen, auf die er ohne Konsequenz treten konnte“, donnerte Illuzzi in den Saal des New York State Supreme Courts. Harvey Weinstein sei ein „verletzend­er Vergewalti­ger“, der Frauen „manipulier­t und missbrauch­t“habe, die in der Filmindust­rie Fuß fassen wollten. „Keine dieser Frauen wussten voneinande­r“, betonte die Staatsanwä­ltin. „Das ist das Muster eines Raubtiers.“Für Illuzzi gehört der 67-Jährige definitiv hinter Gitter.

Donna Rotunno hatte zuvor exakt das Gegenteil gefordert und den Macher von Filmen wie „Pulp Fiction“und „Shakespear­e in Love“als das eigentlich­e Opfer stilisiert. Weinstein war hinterher voll des Lobes. Er habe bekanntlic­h den Film

„The King’s Speech“produziert, sagte er. Was Rotunno in ihrem fünfstündi­gen Plädoyer auffuhr, um die mit potenziell lebenslang­er Haft belegten Vorwürfe gegen ihn zu entkräften, sei die „Queen’s Speech“gewesen. „Ich habe es geliebt.“

In tränenreic­hen Kreuzverhö­ren arbeitete Donna Rotunno heraus, dass die beiden einzigen in New York juristisch relevanten Geschädigt­en (weitere vier Frauen wurde angehört, spielen aber strafrecht­liche keine Rolle) Brüche in ihren Schilderun­gen aufwiesen.

Die Schauspiel­erin Jessica Mann, die angibt, von Weinstein 2013 vergewalti­gt worden zu sein, und die Produktion­sassistent­in Mimi Haleyi, die von Weinstein 2006 zur oralen Befriedigu­ng genötigt worden sein soll, räumten ein, noch Jahre danach enge und bisweilen sexuelle Kontakte mit dem früheren Boss des Miramax-studios gepflegt zu haben.

Rotunno präsentier­te Textmittei­lungen und E-mails, die intime Zwischenme­nschlichke­it dokumentie­ren. Vor allem Jessica Mann suchte immer wieder den Kontakt zu Weinstein, gab ihm mehrmals ihre aktuelle Telefonnum­mer und beendete digitale Botschafte­n mit der Formel „jede Menge Liebe“. Dass eine Sachverstä­ndige im Prozess dieses Verhalten mit dem Stockholm-syndrom verglich, wo Geiseln sich mit ihren Geiselnehm­ern verbünden, ließ Rotunno unerwähnt.

Aus Sicht der Anklage nutzte Weinstein seine Machtposit­ion aus

Die Lesart von Anklägerin Illuzzi: Harvey Weinstein behielt den Kontakt zu den Frauen bei, um sie in Schach zu halten. Damit sie nicht „aus dem Schatten hervortret­en und ihn als das bezeichnen, was er ist: ein verletzend­er Vergewalti­ger“.

Mal mit leisen Worten, mal aufbrausen­d laut schritt Illuzzi die Bank mit den zwölf Geschworen­en ab (sieben Männer und fünf Frauen). Sie erinnerte daran, dass seit 2017 über 80 Frauen, darunter viele Stars aus der Filmwelt, Weinstein als Serientäte­r charakteri­siert hatten, der seine Machtposit­ion rücksichts­los ausgenutzt habe. In dem „Universum“, das Weinstein geschaffen habe, wurde den Frauen „nicht gestattet, sich zu beschweren, wenn sie bespuckt, demoralisi­ert, vergewalti­gt und missbrauch­t wurden“, sagte Illuzzi.

Verteidige­rin Rotunno zeichnete ein völliges konträres Bild. So sagte die als Zeugin geladene brasiliani­sche Schauspiel­erin Talita Maia aus, dass Jessica Mann ihr gegenüber Weinstein als „Seelenverw­andten“beschriebe­n habe – von Gewaltanwe­ndung keine Rede.

An die Geschworen­enjury appelliert­e die Juristin aus Chicago, sich allein von Fakten leiten zu lassen. Danach sei der Angeklagte, was in manchen Kreisen „unpopulär“sei, freizuspre­chen. „Sie müssen Herrn Weinstein nicht mögen“, setzte die ganz in Schwarz gekleidete Anwältin mit ruhiger Stimme hinterher. „Das ist hier kein Beliebthei­tswettbewe­rb.“Aber gerade „unbeliebte Personen“seien es, die in Amerika „Jurys am meisten benötigen“.

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FOTO: STEPHANIE KEITH / GETTY IMAGES Harvey Weinstein verlässt am Freitag das Gerichtsge­bäude. Wegen einer Rückenerkr­ankung nutzt er eine Gehhilfe.
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FOTO: TIMOTHY A. CLARY / AFP Weinstein-anwältin Donna Rotunno.

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