Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Ist er am besten
Strudel ist ein Klassiker der Wiener Küche und schmeckt süß wie herzhaft. Sein Geheimnis ist der hauchdünne Teig
Ein wenig erinnern die Ellenbogen der klassischen Strudelbäcker und -bäckerinnen, darunter die etlicher Großmütter rund um die Donau, an die von Joggern. Die Gelenke wandern weg vom Körper und wieder ran. Rhythmisch arbeitet der ganze Körper, bis der Strudelteig schimmert wie Pauspapier. Ist der Teig über das Küchentuch gestreift, zeichnet sich das Geschick der Teigzieher ab. Werden Stoffmuster sichtbar, wird gefüllt. Wenn nicht, muss nachgezogen werden. In Österreich steht das Wort Abstrudeln nicht umsonst für Verausgabung.
Papierdünner Teig und gutes Mehl
In diesem Sinne strudelt sich auch Harald Heinemann regelmäßig in seiner Bäckerei und Konditorei ab. Denn bei Heinemann in Weimar wird noch selbst gebacken. „Ich ziehe den Strudelteig von Hand papierdünn aus. Das ist, ebenso wie ein Weizenmehl mit guter Kleberqualität, die Voraussetzung dafür, dass er gelingt“, verrät der Bäckermeister. Den Strudelteig streicht er mit Butter ein und bestreut ihn mit süßen Bröseln. Dann gibt der 62Jährige die Füllung darauf, bevor er den Teig aufrollt, den Strudel in den Ofen schiebt und erneut mit warmer Butter bepinselt.
Ideen für das Innenleben seiner Strudel hat der etliche, darunter herzhafte: „Strudel können mit Spinat, Käse, Fleisch und Weißkraut gefüllt werden. Aber auch Spargel oder Pilzen steht nichts im Wege.“Tatsächlich hat es bei den Österreichern regelrecht Tradition, alles Greifbare zu verstrudeln.
Die Kunst dabei ist, abzuschätzen, wie viel Fülle reinpasst in den Mehl-, Grieß- oder Hefeteig, sodass er weder teigig schmeckt noch aufplatzt. Wie viele Birnen, Marillen, Zwetschgen, Kirschen geschnitten werden müssen. Wie viel Topfen oder Mohn nötig sind. Die Diversität im Lebensraum des Strudels scheint unerschöpflich. Und wie die französische Quiche ein Aushängeschild namens Lorraine hat, hat der Strudel von der Donau seinen sauren Apfel, jedenfalls kennen wir ihn so, in der Regel mit einer Kugel Vanilleeis im Schlepptau. Konditor Heinemann mag den am liebsten und genießt ihn „lauwarm, mit Vanillesoße und einer Tasse Kaffee“.
Gemeinhin wird der Strudel mit Österreich in Verbindung gebracht. Es waren aber die Türken, die den
Strudel im 15. Jahrhundert ins heutige Ungarn gebracht haben, von wo aus er nach Wien kam und irgendwann in die ganze Welt. Man vermutet, dass Baklava die Mutter des Strudels sein könnte, jenes pappsüße Blätterteiggebäck aus dem Orient. Weil es lange haltbar ist, eignete es sich gut als Marschverpflegung für Soldaten. Spätestens im 18. Jahrhundert galt der Strudel in der Donauregion als eingemeindet.
Früher wurde Strudel gegart
Weil es damals noch keine modernen Öfen gab, wurde er in einer gusseisernen Pfanne unter offenem Feuer gegart. Oder auch in kochendem Wasser, wie man es heute noch mit Grieß- und Lungenstrudel macht, Letzterer enthält Lunge vom Kalb oder Schwein und kommt vor allem in Kärnten als Einlage in Rinderbrühen auf den Tisch. Mit den Jahren kam die Technik. Moderne Öfen ermöglichen Krusten in Goldbraun. Und Maschinen ziehen Teige dünn wie Seidenpapier. Wer nach wie vor selbst ranwill, der strudelt sich eben ab. Großmutter wäre mächtig stolz.