Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Telemedizin: Ärzte ungeduldig und genervt
Beim Kamingespräch auf der Wartburg drängen Mediziner und Start-ups darauf, bei der Digitalisierung zuzulegen
Vor eineinhalb Jahren lockerte der Ärztetag in Erfurt das Fernbehandlungsverbot. Was als Durchbruch für die Telemedizin gefeiert wurde, ist allerdings im Behandlungsalltag noch nicht wirklich angekommen. So haben Ärzte weiter Schwierigkeiten bei der kostendeckenden Finanzierung von Videosprechstunden. Beim Einsatz etwa des Telerucksackes machen Krankenkassen ihr eigenes Ding.
Der Diabetologin Katrin Schlecht aus Eisenach dauert das inzwischen zu lange. In ihrer Praxis gehört die Digitalisierung seit Längerem zum Praxisalltag. Für ihre verstreut lebenden Diabetes-patienten bietet Schlecht Videosprechstunden
an, noch immer geht ein Teil der Kosten zu ihren Lasten.
Genug geredet, es müssen endlich Taten folgen – unter diesem Motto hatte die Ärztin gemeinsam mit dem Kölner Wissenschaftler Lutz Heinemann, wie sie ein Vordenker und Vorkämpfer für ein digitaleres Gesundheitswesen, Kollegen, gesundheitspolitische Entscheidungsträger von Land und Bund sowie Start-ups zusammengerufen. Im Kaminzimmer auf der Wartburg – und damit laut Schlecht ganz bewusst an einem Ort des Aufbruchs und der Erneuerung – suchte man nach Wegen und Möglichkeiten, wie mehr Digitalisierung in verschiedenen Bereichen des Behandlungsalltags sowohl Patienten als auch Ärzten helfen kann.
Offenbar sind die Hürden dafür in der Praxis aber immer noch hoch. Einmal mehr erneuerte Ellen Lundershausen, Präsidentin der Landesärztekammer (LÄK) und Vize der Bundesärztekammer, ihre Forderung an Ärzte und Politik, mehr Rebellion zu wagen. Während junge Ärzte mit Handy und Tablet aufwüchsen und entsprechende Kompetenzen erwarteten, werde man durch Kompatibilitätsprobleme beim Datenaustausch oder fehlende Infrastruktur auf dem Land häufig mit den Füßen auf den Boden zurückgeholt. „Wir sind keine Bremser, es muss aber auch technisch funktionieren“, so die Läk-chefin.
Annette Rommel, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung und selbst Landärztin, zählte gestartete Projekte in Thüringen wie Tele-vera, Znf-konzil oder die digitale Einsatzsteuerung im Rettungswesen auf, verwies aber auch auf stetig steigende Kosten für Praxen. Viele Kollegen würden Sinn und Nutzen bislang oft nicht sehen, von Schnittstellenbrüchen sowie vom Zwang, sich für viel Geld an die Telematik anschließen zu müssen, sei man angenervt. „Damit müssen wir sensibel umgehen“, so Rommel.
Immer wieder wurde am prasselnden Kaminfeuer auf Vorbehalte und Ängste hingewiesen. Während Kassenvertreter genügend Nachfrage nach ihren Angeboten vermissten, beklagten Start-ups mangelnde Unterstützung bei Entwicklung und Einsatz von Gesundheitsapps oder hohe Hürden beim Zugriff auf
Gesundheitsdaten. Für die mehrheitlich bundesfinanzierte Gematik, die mit der Telematikinfrastruktur sowie der elektronischen Gesundheitskarte den Grundstein für ein sicheres Datennetzwerk legen soll, appellierte deren CEO Markus Leyck-dieken an Mut und Bereitschaft aller Beteiligten. „Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, anstehende Gesetz werden die Telemedizin erleichtern“, versicherte er.
Nach dem langen Abend war Organisatorin Karin Schlecht schließlich nicht unzufrieden. Probleme seien genannt, Lösungen angedacht worden. Zurückstellen musste sie allerdings ihre Hoffnung auf eine Art operatives Netzwerk für die Umsetzung. „Das war ein Anfang, wir lassen nicht locker“, sagte sie.