Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Tausende Menschen gegen Rechtsruck
Demonstranten setzen sich in Erfurt für solidarische und demokratische Gesellschaft ein
Tausende Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet haben in Erfurt für ein demokratisches Miteinander und gegen jede Art von Rassismus und Antisemitismus sowie eine Zusammenarbeit mit der AFD demonstriert. Rednerinnen und Redner von Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, der evangelischen Kirche, von Frauenrechtsorganisationen, von Fridays for Future und von antifaschistischen Organisationen verurteilten die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Hilfe der Stimmen der AFD.
Scharfe Kritik mussten sich auch CDU und FDP gefallen lassen, die die Wahl im Anschluss toleriert hatten. Mehrere Redner warfen der AFD vor, die Gesellschaft spalten zu wollen, anstatt ein solidarisches und demokratisches Miteinander zu befördern. Mit Faschisten dürfe es keine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien geben, lautete eine klare Botschaft vor allem auch an CDU und FDP. Beide Parteien hatten gemeinsam mit der AFD Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt.
Stefan Krözell vom Dgb-bundesvorstand sprach von einer unglaublichen „Ignoranz und Machtversessenheit“, die CDU und FDP 75 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz demonstriert hätten. Der evangelische Propst Christian Stawenow forderte von den Politikern redliches und wahrhaftiges Verhalten.
Einen schamlosen Demokratiemissbrauch der AFD, den CDU und FDP ausgenutzt hätten, um Rotrot-grün
zu verhindern, nannte Reinhard Schramm den Wahleklat. Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde hielt seine Rede am Samstag wegen des Sabbats nicht selbst, sondern ließ sie verlesen.
Von Erfurt gehe ein lautes zivilgesellschaftliches Nein aus, rief Pia Oelsner von der Fridays-for-futurebewegung den Demonstranten zu. Die Kraft der Großdemonstration in Erfurt müsse jetzt in die Regionen mitgenommen werden, erklärte Tomas Jacob, Vertreter der Thüringer Bürgerbündnisse gegen Rechts.
Die Wahl des Fdp-politikers Kemmerich mit den Stimmen der AFD zum Regierungschef bedeute die Aufkündigung eines jahrzehntelangen Grundkonsenses deutscher Politik, machte Klaus Dörre von der Friedrich-schiller-universität Jena deutlich. „Keine Zusammenarbeit mit alten und neuen Faschisten bei politischen Entscheidungen.“Aber es habe nur wenige Stunden gebraucht, bis die ersten Proteste begonnen hatten und der Sturm losbrach, fügte der Soziologe an. CDU und FDP hätten diesen Tabubruch begangen. Die anderen demokratischen Parteien seien dagegen dem antifaschistischen Grundkonsens treu geblieben.
Der Wissenschaftler sieht in einer erneuten Wahl einer Regierung unter Bodo Ramelow den einzigen Ausweg aus der aktuellen Regierungskrise in Thüringen. Vorübergehend. Denn die Demokraten bräuchten sich aus seiner Sicht vor Neuwahlen nicht zu fürchten. Der Tabubruch habe viele Menschen zum Nachdenken gebracht, die bisher geglaubt hätten, dass so etwas nicht möglich wäre.
Der Massenprotest am Samstagnachmittag in Erfurt ist friedlich verlaufen. Viele junge Demonstranten, aber auch die „Omas gegen Rechts“und ganze Familien waren dem Aufruf des DGB sowie der Initiative „Unteilbar“gefolgt. Die Veranstalter sprachen von bis zu 18.000 Teilnehmern, die Polizei von etwa 9000. Als vollen Erfolg sah der Dgb-vizechef für Hessen und Thüringen, Sandro Witt, die Demonstration.
Erfurt habe gezeigt, dass Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet bereit seien, gegen die Aktivitäten der AFD und von rechts auf die Straße zu gehen und sich zu wehren. „Das ist ein starkes Signal“, sagte er dieser Zeitung und dankte ausdrücklich der Polizei für die kooperative Zusammenarbeit.
Die Einsatzkräfte agierten an diesem Samstag extrem zurückhaltend. Auf dem Domplatz und während des Protestzugs durch die Erfurter Innenstadt waren nur wenige Polizisten zu sehen. Die meisten von ihnen sperrten kurzfristig Straßen für die Demonstranten ab. Neben diesen Sperrungen waren auch zwei Straßenbahnlinien vorübergehend von den Behinderungen betroffen.
Gegen 17 Uhr endete die Protestkundgebung.