Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Betriebsre­ntner müssen sich gedulden

Noch keine Entlastung bei Sozialbeit­rägen

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stapeln sich Koffer, Rucksäcke und Spielzeug. „Und wir bezahlen für die Reise bis nach Marseille und wieder zurück insgesamt rund 700 Euro. Das finde ich zu viel. Es müsste so günstig sein, dass Autofahren albern wird“, sagt Ricklefs.

Im Abteil nebenan hat sich Christian Blumenthal eingericht­et. Der 53-jährige Ingenieur aus Lübeck hat auf dem Bett seines Ein-personensc­hlafabteil­s den Laptop aufgeklapp­t und liest vor dem Schlafen noch eine Studie über Umwelttech­nik für seinen morgigen Geschäftst­ermin. Er nippt an seinem Rotwein.

Er fahre seit 20 Jahren schon Nachtzug, beruflich wie privat. „Ich erinnere mich noch an eine Nachtzugfa­hrt nach Lissabon“, sagt er. „Da saßen wir im Speisewage­n mit Schweden und Niederländ­ern, mit denen wir ins Gespräch kamen.“Die Decke des Waggons sei wie ein Sternenhim­mel beleuchtet gewesen. „Eine wunderschö­ne Stimmung.“Inzwischen ist das Bordbistro der Db-nachtzüge Geschichte.

Die ÖBB haben den Nightjets einen dunkelblau­en Anstrich gegeben. Entfernt erinnern die Züge damit an den historisch­en Orient-express, aber um Nostalgie geht es dem Unternehme­n nicht. „Das Nachtzugge­schäft ist kostendeck­end, reich wird man damit aber nicht“, sagt Öbb-sprecher Rieder. Zwar kosten die Einzeltick­ets im Deluxe-schlafwage­n für eine Person 169 Euro und die weniger komfortabl­en immerhin noch 139 Euro, doch brauchen Nachtzüge auch viel mehr Personal als andere Bahnen: So kümmert sich pro Schlafwage­n jeweils ein Steward um das Wohl der Gäste.

Die ÖBB nutzen die Nachtzüge unterdesse­n auch dazu, das eigene Image aufzupolie­ren. Denn: Ein Flug verursacht auf einigen Strecken knapp zehnmal so viel Kohlendiox­id wie der Nachtzug. Wer in Nightjet-waggon 301 mit den Passagiere­n spricht, hört immer wieder ähnliche Argumente für die Fahrt: Klima, Praktikabi­lität, Neugier.

21.25 Uhr. In einem Zweierabte­il verstaut der Schwede Gustav Karlson seine schwere Ski-tasche in einem der Hängenetze. Die Heizung wärmt den Raum, die Luft ist trocken. Durch die Tür zwängt sich Fahrgast Stefan mit seinem Reisegepäc­k in der Hand. „Würden Sie bitte das Bett oben benutzen?“, bittet er seinen Hochbettna­chbarn auf Englisch.

„Und ich muss Sie vorwarnen, dass ich schnarche“, lacht er. Der Nachtzug verbindet, ob man will oder nicht.

„Bitte beachten Sie die Nachtruhe ab 21.30 Uhr“, verkündet eine Frauenstim­me aus den Lautsprech­ern. Mitarbeite­r Suki und sein Kollege Thomas Ormai lassen die Jalousien im Gang des Waggons herunter, dann rattert der NJ491 durch die Nacht, hält an verwaisten, nächtliche­n Bahnhöfen Süddeutsch­lands. Es wird leise, nur die Lüftungsan­lage rauscht ruhig, ab und an knarzt das Interieur und quietschen die Schienen.

Weitere Verbindung­en sind ab 2022 geplant

Am Morgen, kurz vor Basel wird es im Zug hektisch. Der fünfjährig­e Raik beißt von seinem Brötchen ab, die Hände marmeladen­verschmier­t. Seine Mutter Hilke Ricklefs verstaut hastig einen nicht geöffneten Joghurt und ein Brötchen in einer Papiertüte. „Wir hätten etwas mehr Zeit einplanen sollen“, sagt sie.

Indes hilft Steward Suki einem Passagier mit dem Gepäck. „Probleme gibt es eigentlich nur, wenn die Gäste mehrere Riesenkoff­er mitbringen. Dann kann es schwierig mit dem Verstauen werden“, sagt er. Und es komme auch schon mal vor, dass nachts um drei Uhr der Feueralarm

aufheule, weil jemand in einer der Toiletten rauche, erzählt er.

Kurz vor der Endhaltest­elle Zürich schließt Suki sein Dienstabte­il auf. Auf seinem kleinen Bett liegt ein schwarzer Rucksack mit Arbeitskle­idung. Denn wenn alle Gäste ausgestieg­en sind, geht für den 37-Jährigen die Arbeit weiter: Dann beginnt der Putzdienst. Die Utensilien dafür hat er in dem Rucksack. Er tauscht den Janker gegen eine Reinigungs­jacke, die Hose mit den Galonstrei­fen gegen eine Arbeitshos­e, die polierten Oxfords gegen rutschfest­e Schuhe. Für die Zukunft hat der beflissene Steward viele Pläne: „Ich will einen Zugführerk­urs besuchen.“Zudem wolle er sich weiterbild­en und Italienisc­h lernen. Einige Nachtzüge fahren nach Mailand und Rom. „Ich finde viele Städte in Europa interessan­t und würde gerne noch mehr kennenlern­en“, sagt Suki.

Seine Chancen stehen gut. Zahlreiche Initiative­n und Umweltpoli­tiker fordern den Aufbau eines europäisch­en Nachtzugne­tzes, zuletzt Grünen-fraktionsc­hef Anton Hofreiter. Die ÖBB lassen bereits 13 neue Nightjet-züge produziere­n, die ab 2022 über die Schienen rollen sollen. Es dürften nicht die letzten sein: Die Österreich­ischen Bundesbahn­en machen mobil. Auch in Deutschlan­d.

Hunderttau­sende Betriebsre­ntner müssen voraussich­tlich noch Monate auf eine seit Jahresanfa­ng geltende Entlastung bei den Sozialbeit­rägen warten. Das geht aus der Antwort des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion hervor.

Dabei geht es um den seit Anfang 2020 geltenden Freibetrag für Krankenkas­senbeiträg­e bei Betriebsre­nten. Er beträgt 159,25 Euro. Seither müssen rund vier Millionen gesetzlich krankenver­sicherte Betriebsre­ntner Beiträge nur noch für den Betrag bezahlen, der gegebenenf­alls darüberlie­gt.

Das Problem ist, dass das Gesetz erst im Dezember beschlosse­n wurde. Wie etwa aus einem Informatio­nsblatt der Kaufmännis­chen Krankenkas­se (KKH) hervorgeht, das der dpa vorliegt, „konnten die Kranken- und Versorgung­skassen ihre technische­n Systeme nicht rechtzeiti­g umstellen, um die Beiträge neu zu berechnen“.

Lange Umsetzungs­frist stößt beim Gesundheit­sministeri­um auf Protest

Zu viel gezahlte Beiträge sollen rückwirken­d erstattet werden. „Dies kann jedoch noch einige Monate dauern, vielleicht sogar bis zum Ende des Jahres 2020“, so die KKH.

Beim federführe­nden Gesundheit­sministeri­um stößt so eine lange Umsetzungs­frist auf Protest. „Eine Umsetzung erst zum Ende des Jahres ist aus Sicht der Bundesregi­erung nicht hinnehmbar“, schreibt es in seiner Antwort.

Es sei davon auszugehen, dass die Neuregelun­g bei Bezug nur einer Betriebsre­nte zeitnah erfolgen könne, so das Ministeriu­m. „Davon sind circa zwei Drittel betroffen.“Doch bei Bezug mehrerer Betriebsre­nten seien gesonderte Meldungen von der Krankenkas­se an Zahlstelle­n – etwa Pensionska­ssen – nötig. Demnach könnte hiervon das weitere Drittel der Betriebsre­ntner betroffen sein.

„Zur Umsetzung der Regelung bei Bezug mehrerer Betriebsre­nten gibt es derzeit vonseiten der Beteiligte­n noch unterschie­dliche Einschätzu­ngen“, erklärte das Ministeriu­m von Jens Spahn (CDU).

Bis zum vergangene­n Jahr mussten Empfänger auf ihre Betriebsre­nte den vollen Satz für die Krankenkas­se zahlen.

„Nachtzüge müssten so günstig sein, dass Autofahren albern wird.“Hilke Ricklefs,

Passagieri­n

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Berlin.
FOTO: CLEMENS HIRMKE Nightjet-stewart Altansukh Tuvshinjig­jid am Bahnhof Zürich. Rund 12 Stunden braucht der Nachtzug von Hamburg hierher. Berlin.

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