Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
„Ihr müsst eure Brüste schützen!“
Ganz ehrlich, so hatte ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt. Als ich am Donnerstagabend von der Arbeit komme, sind E. und T. da, gleichzeitig. Das letzte Mal war das vor einem knappen Jahr in Mexiko der Fall. Hallo und stürmische Umarmungen.
Zur Feier des Tages hat E. gekocht, mexikanisch natürlich. T. hilft servieren.
„Du musst jetzt stark sein“, krächzt K., die mit Halsschmerzen auf der Couch liegt. „Die Mädels wollen ,Germanys Next Topmodel‘ gucken.“
„Ach“, sage ich, „das geht doch wieder bis Mitternacht. Ich dachte, wir wollen uns unterhalten.“
Reden könne man in den Werbepausen, sagt T., und E. versucht mich zu locken: Heute sei Nacktshooting angesagt, das sei doch auch was für mich. Fast hätte ich mich an meinem Taco verschluckt. Metoo, denke ich. Sag jetzt lieber nichts. Schau einfach zu und denk dir deinen Teil.
Ich sehe: einen Traumstrand, ein Dutzend leicht bekleideter junger Damen, dann, in Seidenbluse und löchrigen Jeans, die Modelmacherin. Heidi K. (vollständiger Name ist sogar Zeitungslesern bekannt) baut sich langbeinig vor ihnen auf und verkündet: „Heute sehe ich alles von euch. Heute zeigt ihr euch so, wie Gott euch schuf.“Und als wäre dies nicht schon erschütternd genug, legt sie noch eine Schippe drauf: „Wir machen es heut mal mit dem Pferd.“
Fassungslosigkeit, sowohl am Strand als auch am Tisch. Eine der Kandidatinnen erstarrt vor Angst. Nicht vor der Blöße, sondern vorm Pferd. Sie weint und weint.
Als die Hüllen fallen, schaue ich in meine Guacamole. Völlig unnötig, wie sich herausstellt, denn jedes noch so unscheinbare Detail wird sorgfältig wegretuschiert. Die Topmodels hängen wie lebensgroße, geschlechtslose Barbiepuppen auf dem Gaul, mal richtig, mal verkehrt herum, und sind vor allem bemüht, nicht herunterzufallen.
Neben der Fotografin steht Heidi K. und ruft: „Die Brüste! Ihr müsst eure Brüste schützen!“
Ihre eigenen sind gerade mal so weit geschützt, dass sie nicht rausflutschen.
Beim dritten Werbeblock ziehe ich mich wortlos ins Bett zurück.