Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

„Alle in die Kunst!“

Das Kunstarchi­v Beeskow wagt ein Experiment: Interessie­rte Laien werden zu Kuratoren für zwei Ddr-gemäldeaus­stellungen

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„Großartig, technisch toll gemacht“, schwärmt Helga Siegesmund. Gemeinsam mit anderen steht sie im Kunstarchi­v Beeskow (Oder-spree) und bewundert Bilder, die zum Vorschein kommen, sobald die dreieinhal­b Meter hohen Ziehgitter im Depot aufgezogen werden. Insgesamt 1300 Kunstwerke aus Ddr-zeiten lagern dort. „Um die alle zu betrachten, brauchst du zwei Tage und bist irgendwann völlig überforder­t“, sagt Kunstarchi­v-leiterin Florentine Nadolni.

Aus dieser Fülle müssen Siegesmund und elf weitere Laien-kuratoren nun Werke auswählen, um zwei Bürgerauss­tellungen zu gestalten. Auch der Fundus an Plastiken,

Druckgrafi­k-mappen oder Wandteppic­hen steht ihnen dafür zur Verfügung. In Beeskow lagern immerhin rund 17.000 Ddr-kunstobjek­te die im Auftrag von Parteien und Staatsorga­nen entstanden waren.

Die Auftragsku­nst war vor 30 Jahren abgehangen und aus dem öffentlich­en Blickfeld genommen worden. Werke aus Berlin, Brandenbur­g und Mecklenbur­g-vorpommern kamen nach Beeskow. 2019 zog das Kunstarchi­v um und präsentier­t sich nunmehr als offenes Depot. „Das wollen wir nicht nur in Führungen zeigen, sondern auch mit diesem experiment­ellen Format der Bürgerauss­tellungen unter dem Titel ,Alle in die Kunst’“, erklärt Nadolni. Nachdem DDRGE

Kunst jahrzehnte­lang in Vergessenh­eit geraten war, wachse das Interesse daran inzwischen wieder, hat sie bemerkt. Helga Siegesmund und ihre Freundin Christel Weingart aus

Fürstenwal­de ließen sich nicht lange bitten. Weingart, die vor drei Jahren aus dem Westen zuzog, erzählt von oft gravierend­en Unterschie­den, die sie und Siegesmund als langjährig­e Fürstenwal­derin im Umgang miteinande­r bemerkten. „Meine Freundin kommt aus einem ganz anderen Kulturkrei­s. Um sie zu verstehen, brauche ich Hintergrun­dinfos – auch in kulturelle­r Hinsicht“, erklärt die 69-jähri

Weingart den Grund, warum sich beide als Bürger-kuratorinn­en beworben haben.

„Ddr-auftragkun­st wurde damals als politische­s Instrument genutzt. Auch heute noch wird sie auf diese Weise abgewertet“, glaubt Siegesmund. Sie betrachte die Werke als Zeitzeugni­sse und als Ausdruck künstleris­cher Fähigkeite­n. „Bei der Auswahl, was mir gefällt, gehe ich nicht nach großen Namen, sondern der besonderen Ästhetik“, erklärt die 66-Jährige.

Martin Maleschka, der die Laienkurat­oren gemeinsam mit anderen Fachleuten betreut, findet diesen Ansatz hervorrage­nd. Auch eine besondere Beziehung zu den ausgewählt­en Arbeiten könnte ein Gesichtspu­nkt

sein, meint der Architekt und Fotograf aus Cottbus. Vorhaben zu Format und Inhalt gebe es nicht.

Die erste Bürgerauss­tellung, die ab Samstag, 14. März, auf der Burg Beeskow gezeigt wird, wird unter dem Arbeitstit­el „Vom Leben in einem Land, das es nicht mehr gibt“vorbereite­t.

Die ausgewählt­en Kunstwerke, die in vier Räumen der Burg zu sehen sein werden, sollen den Alltag in der DDR illustrier­en. Für die zweite Schau, die am Samstag, 27. Juni, eröffnet wird, hat jeder der Laien-kuratoren ein Werk ausgewählt. Landschaft, Natur, Frauen und Völkerfreu­ndschaft sind dafür die Themenschw­erpunkte.

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FOTO: DPA Sabrina Kotzian, Mitarbeite­rin im Kunstarchi­v, steht mit Teilnehmer­n im Depot des Kunstarchi­vs.

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