Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Auch Gott plagen Probleme
Das Eisenacher Publikum feiert Bachs Opern-premiere „La Clemenza di Scipione“
Eisenach. Gottlob, das Musiktheater lebt noch in Eisenach. In der ersten Eigenproduktion nach langer Zeit entpuppt es sich als quicklebendig. Die Premiere der späten Oper „La Clemenza di Scipione“des jüngsten Bach-sohnes Johann Christian riss das Publikum am Samstag aus gutem Grunde zu stehenden Ovationen hin. Denn Regisseur Dominik Wilgenbus gelang im Theater Eisenach die putzmuntere Modernisierung eines betulichen Librettos, nicht zuletzt dank selbstgedichteter Dialoge und der Erschaffung einer dualistischen Gottesgestalt.
Gott ist hier Er und Sie, verkörpert von den Puppenspielern Kerstin Wiese und Falk Pieter Ulke. Das ulkige, gichtig gebeugte Paar in Schlafrock und Nachthemd erklärt und kommentiert die Bühnenhandlung wie einst der Chor bei Sophokles. „Bei den Schweinen hätten wir Schluss machen sollen“, sagt Gott hinter Pappmaché-masken über seine Schöpfungen, von Koregisseurin Kora Tscherning mit Esprit und Slapstick in Szene gesetzt. Das Publikum lacht, dabei meint die Regie
es ernst und formt die Opera seria zur Tragikomödie um.
So wird aus dem biederen römischen General Marzius, mit erdigem Bariton elegant gesungen von Johannes Mooser, ein Folterknecht mit blutbesudelter Schürze. Er treibt in seiner Gnadenlosigkeit die geliebte spanische Prinzessin Idalba (Alexandra Scherrmann) aus dem besiegten Karthago – anstelle eines Happy Ends – in den Wahnsinn. „Hinter Schrecken und Schmerz wartet das Glück“, hofft Idalba in ihrer Arie vergeblich und mit ganz erstaunlichen Koloraturen noch im ersten Akt.
Neu interpretiert wird auch die Rolle des siegreichen Prokonsuls Scipio, den Tenor Martin Lechleitner agil und geschmeidig als erfolgsverwöhnten, gewissenlosen und gierigen Dandy spielt. Scipio lässt seinen Widersacher Luceius in der Eisenacher Lesart nicht nur einsperren, sondern von Marzius auch die Instrumente zeigen. Doch Sopranist Onur Abaci in der Rolle des Luceius verzieht mit eruptivem, voluminösem Countertenor keine Miene und wählt mit seiner Verlobten, Prinzessin Arsinda, den Liebestod.
Dieser Suizid Arsindas, im Libretto eigentlich nur angedroht, und die anschließende Wiederbelebung des Heldenpaares per Gottesmacht wirkt wie Salz in fader Handlungssuppe – macht jedoch die plötzliche Milde Scipios am Ende auch nicht plausibler. Mit bronzenem, blühenden Sopran singt Sara-maria Saalmann ihre Arsinda nicht nur stimmlich überragend, sondern wirkt mit abgezirkelter Körpersprache auch schauspielerisch überzeugend.
Generell ist viel inszenatorische Sorgfalt in die Choreographie geflossen, die das schlicht gehaltene Bühnenbild von Peter Engel ungemein belebt. Die vorzeitliche Szenerie zeigt einen Erdkreis in den ersten sieben Tagen der Schöpfung, durchlöchert von Stonehenge-förmigen Aussparungen. In dieser Urwelt, in der Speere als Waffen dienen, wirken Rokoko-röcke und offene Bohemien-hemden (Kostüme: Uschi Haug) wie deplatzierte Zitate, mittels derer Regisseur Wilgenbus die zivilisatorische Kruste als bloße Tünche entlarvt.
Im Graben spielt die Thüringen Philharmonie Gotha-eisenach, vom Cembalo aus geleitet von Juri Lebedev, von Beginn an spritzig auf. Trotz modernen Instrumentariums formen die Philharmoniker mit Verve und Tempo ein historisch informiert wirkendes Klangbild und sorgen so für ein ausgesprochen kurzweiliges Opernvergnügen. „Je größer ihre Not, desto schöner ihre Musik“, sagt Sie im zweiten Akt zu Ihm, der sich gern ein Bier aufmachen würde. Doch Sie lässt Ihn nicht, denn Alkohol ist schlecht bei Gicht, und so geht es den Göttern wie den Menschen.