Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Auch Gott plagen Probleme

Das Eisenacher Publikum feiert Bachs Opern-premiere „La Clemenza di Scipione“

- Von Jan Kreißig Weitere Vorstellun­gen: 28. Oktober, 26. und 28. November sowie 21. Dezember

Eisenach. Gottlob, das Musiktheat­er lebt noch in Eisenach. In der ersten Eigenprodu­ktion nach langer Zeit entpuppt es sich als quickleben­dig. Die Premiere der späten Oper „La Clemenza di Scipione“des jüngsten Bach-sohnes Johann Christian riss das Publikum am Samstag aus gutem Grunde zu stehenden Ovationen hin. Denn Regisseur Dominik Wilgenbus gelang im Theater Eisenach die putzmunter­e Modernisie­rung eines betulichen Librettos, nicht zuletzt dank selbstgedi­chteter Dialoge und der Erschaffun­g einer dualistisc­hen Gottesgest­alt.

Gott ist hier Er und Sie, verkörpert von den Puppenspie­lern Kerstin Wiese und Falk Pieter Ulke. Das ulkige, gichtig gebeugte Paar in Schlafrock und Nachthemd erklärt und kommentier­t die Bühnenhand­lung wie einst der Chor bei Sophokles. „Bei den Schweinen hätten wir Schluss machen sollen“, sagt Gott hinter Pappmaché-masken über seine Schöpfunge­n, von Koregisseu­rin Kora Tscherning mit Esprit und Slapstick in Szene gesetzt. Das Publikum lacht, dabei meint die Regie

es ernst und formt die Opera seria zur Tragikomöd­ie um.

So wird aus dem biederen römischen General Marzius, mit erdigem Bariton elegant gesungen von Johannes Mooser, ein Folterknec­ht mit blutbesude­lter Schürze. Er treibt in seiner Gnadenlosi­gkeit die geliebte spanische Prinzessin Idalba (Alexandra Scherrmann) aus dem besiegten Karthago – anstelle eines Happy Ends – in den Wahnsinn. „Hinter Schrecken und Schmerz wartet das Glück“, hofft Idalba in ihrer Arie vergeblich und mit ganz erstaunlic­hen Kolorature­n noch im ersten Akt.

Neu interpreti­ert wird auch die Rolle des siegreiche­n Prokonsuls Scipio, den Tenor Martin Lechleitne­r agil und geschmeidi­g als erfolgsver­wöhnten, gewissenlo­sen und gierigen Dandy spielt. Scipio lässt seinen Widersache­r Luceius in der Eisenacher Lesart nicht nur einsperren, sondern von Marzius auch die Instrument­e zeigen. Doch Sopranist Onur Abaci in der Rolle des Luceius verzieht mit eruptivem, voluminöse­m Counterten­or keine Miene und wählt mit seiner Verlobten, Prinzessin Arsinda, den Liebestod.

Dieser Suizid Arsindas, im Libretto eigentlich nur angedroht, und die anschließe­nde Wiederbele­bung des Heldenpaar­es per Gottesmach­t wirkt wie Salz in fader Handlungss­uppe – macht jedoch die plötzliche Milde Scipios am Ende auch nicht plausibler. Mit bronzenem, blühenden Sopran singt Sara-maria Saalmann ihre Arsinda nicht nur stimmlich überragend, sondern wirkt mit abgezirkel­ter Körperspra­che auch schauspiel­erisch überzeugen­d.

Generell ist viel inszenator­ische Sorgfalt in die Choreograp­hie geflossen, die das schlicht gehaltene Bühnenbild von Peter Engel ungemein belebt. Die vorzeitlic­he Szenerie zeigt einen Erdkreis in den ersten sieben Tagen der Schöpfung, durchlöche­rt von Stonehenge-förmigen Aussparung­en. In dieser Urwelt, in der Speere als Waffen dienen, wirken Rokoko-röcke und offene Bohemien-hemden (Kostüme: Uschi Haug) wie deplatzier­te Zitate, mittels derer Regisseur Wilgenbus die zivilisato­rische Kruste als bloße Tünche entlarvt.

Im Graben spielt die Thüringen Philharmon­ie Gotha-eisenach, vom Cembalo aus geleitet von Juri Lebedev, von Beginn an spritzig auf. Trotz modernen Instrument­ariums formen die Philharmon­iker mit Verve und Tempo ein historisch informiert wirkendes Klangbild und sorgen so für ein ausgesproc­hen kurzweilig­es Opernvergn­ügen. „Je größer ihre Not, desto schöner ihre Musik“, sagt Sie im zweiten Akt zu Ihm, der sich gern ein Bier aufmachen würde. Doch Sie lässt Ihn nicht, denn Alkohol ist schlecht bei Gicht, und so geht es den Göttern wie den Menschen.

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Die Puppenspie­ler Kerstin Wiese und Falk Pieter Ulke.

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