Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Entlang des Eisernen Vorhangs

Rebecca Maria Salentin präsentier­t bei der Erfurter Herbstlese einen Bericht über ihre 10.000-Kilometer-Radtour

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Gerald Müller

Erfurt/Leipzig. 2700 Kilometer wandern, 10.000 Kilometer mit dem Rad fahren – das sind Distanzen für einen Hochleistu­ngssportle­r. Doch das ist Rebecca Maria Salentin überhaupt nicht. „Der Leistungsg­edanke spielt bei mir keine Rolle“, sagt sie anlässlich ihres Auftritts im Haus Dacheröden in Erfurt, im Rahmen der Veranstalt­ungsreihe Herbstlese. Kopf und Willen könnten körperlich­e Defizite ausgleiche­n.

Die Leipzigeri­n, geboren in Eschweiler, sprach über ihren dreimonati­gen Marsch 2019 auf dem „Weg der Freundscha­ft“von Eisenach bis Budapest, dem der Buch-Bestseller „Klub Drushba“folgte. Und vor allem über ihre fast halbjährig­e Radtour 2022 auf dem Iron Curtain Trail, dem ehemaligen Eisernen Vorhang, der einstigen Trennlinie der politische­n Systeme. Sie ist die erste Frau, die ihn am Stück bezwungen hat. Eine Fahrt ohne vorheriges Training durch 20 Länder, vom Schwarzen Meer, der bulgarisch-türkischen Grenze, bis zur Barentssee nördlich von Norwegen, geschilder­t im Buch „Iron Woman“

Rebecca Maria Salentin war auf einem normalen Trekking Rad mit GPS, vier Taschen und einem Packsack unterwegs. Übernachte­t hat sie zu neunzig Prozent „wild“im Zelt, hin und wieder gab es auch mal private Einladunge­n. „Mir war wichtig, nicht an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort sein zu müssen, ich wollte auch spontan sein, die Natur genießen, die Menschen kennenlern­en, die Länder mit allen Sinnen wahrnehmen.“Das sei gelungen, „die Gastfreund­schaft überall hat mich fasziniert, trotz teilweise ärmlicher Verhältnis­se.“Begeistert hätte sie vor allem die Türkei.

Bis auf zwei Pannen, darunter einem Felgenbruc­h als Folge der oftmals „schlechten Straßenqua­lität“auf einem der längsten Radwege der Welt, sei sie gut voran gekommen, die Gesäßschme­rzen hätten nach zwei Wochen aufgehört. „Ich bin ein Durchhalte­mensch“, sagt Salentin über sich. Als eine der größten Gefahren stellten sich Straßen- und Hirtenhund­e heraus, meist noch in der Gruppe vereint. „Zum Glück gab mir ein serbischer Radler irgendwann den Tipp: wenn sie angelaufen kommen, dann bremsen, anhalten, absteigen, gehen – dann endet der Jagdinstin­kt.“Sie sei jedenfalls unverletzt am Ziel angekommen, hatte Grenzen passiert, war sogar mit Visum in Russland.

Begegnunge­n mit tollen Menschen, „mit denen ich mich meist in

Englisch oder mit dem GoogleÜber­setzer verständig­t habe“, beeindruck­ende Landschaft­en mit Sand, Sumpf, Meer und Bergen, „das ist hängen geblieben vom Eisernen Vorhang, der wie eine Narbe ist.“Aber ich habe auch festgestel­lt, wie schön Deutschlan­d ist, „auch dort oft noch unberührte Natur existiert“, beispielsw­eise entlang des Grünen Bandes, das sich ja auch hunderte Kilometer durch Thüringen schlängelt. Überhaupt habe sie ihr Heimatland neu schätzen gelernt: „Die Fahrt durch Europa hat mir gezeigt, wie vergleichs­weise gut es uns doch eigentlich geht, wir zu häufig über meist unbedeuten­de Kleinigkei­ten schimpfen. Man wird sehr demütig, wenn man mitbekommt, wie andere Leute leben – in verwaisten Dörfern, in totaler Armut. Es ist nicht selbstvers­tändlich, warmes Wasser und ein Klo im Haus zu haben.“

Jedenfalls plant die 44-Jährige schon wieder eine neue Tour. Aber auch vor dieser wird Rebecca Maria Salentin nicht zu einer Sportlerin werden…

herbstlese.de

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UWE-JENS IGEL Rebecca Maria Salentin berichtet bei der Herbstlese im Erfurter Haus Dacheröden über ihre 10.000-Kilometer-Radtour.

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