Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Blonder Vamp und graues Mäuschen
Puppenspieler auf den Spuren Marlene Dietrichs und ihrer unbekannten Schwester
Frank Quilitzsch
Erfurt.
Was für ungleiche
Geschwister
Das könnte man den dramaturgischen Höhepunkt der ansonsten biografisch strukturierten Inszenierung von Kristine Stahl nennen, die zusammen mit Susanne Koschig auch die Stückfassung erstellte. Die Karriere Marlene Dietrichs in ihren verschiedensten Facetten nachzuerzählen, ist schon eine Nummer für sich. Doch was, fragt sich der Zuschauer, hat die Schwester, die NaziBraut, charakterlich zu bieten? Die eingestreuten Rückblenden zeigen, wie die junge Liesel im Schatten der künstlerisch talentierten, in Weimar Geige lernenden Schwester steht. Nach der Heirat mit dem NSDAP-Mann mutiert sie von der Lehrerin zum biederen Hausmütterchen. Was für ungleiche Geschwister! Hier der mondäne Leinwandstar, dort das graue Mäuschen.
Ungleich sind leider auch die Schwergewichte auf der Bühne.
Und das ist gleich doppelt schade. Denn das künstlerische Feuerwerk, das die Akteure Karoline Vogel, Heinrich Bennke, Tomas Mielentz und Martin Vogel anderthalb Stunden mit richtigen Puppen und fantasievollen Puppensets aus Kissen, Pappe und Papier (gefertigt von Katrin Sellin) entfachen, ist klasse, vielleicht Weltklasse. Von Stummfilm über raffinierte Collage bis avantgardistisches Schauspiel werden alle Theaterregister gezogen.
Ensemble entdeckt seinen Spaß an der Parodie
Da blättert die Mutter für jeden sichtbar im Familienalbum, reitet die Dietrich als Lola auf dem Fass durch den „Blauen Engel“, tanzt die Diva ihrem Pianisten auf der Nase herum. Das Ensemble entdeckt seinen Spaß an der Parodie. Dafür haben Kristine Stahl und Kathrin Sellin (Objekte und Requisiten) mit einer Revuetreppe und einer Leinwand (Video: Felix Bauer) das Ambiente geliefert. Ein besonderes Bonmot: Der „männermordende“blonde Vamp wird, abwechselnd oder vereint, ausnahmslos von Zigarette rauchenden Herren in Damenschuhen bedient; manchmal dienen sie ihm gar mit Körper und Stimme (musikalische Einstudierung: Yulia Martynova).
Doch leider fehlt dem furiosen Spiel die Fallhöhe. Als klar wird, dass Liesel gar nicht im KZ war, fällt auch der Spannungsbogen. Lene unterstützt ihre Schwester, will aber deren Gesinnung unter der Decke halten, um ihre Weltkarriere nicht zu gefährden. Denn die ältere Schwester ist nicht nur weniger attraktiv und talentlos, sondern auch ängstlich und angepasst. Interessant dürfte dennoch sein, wie das Stück auf 16-Jährige wirkt, die weder mit Marlene Dietrich noch mit ihren Songs etwas anfangen können, die vielleicht auch noch nie vom KZ Bergen-Belsen gehört haben. Da stellen sich die Puppenspieler in den Dienst der Aufklärung. Der Abend erzählt viel, zu viel. Doch wie das graue Liesel-Mäuschen zur Mitläuferin wurde und warum es nichts dazulernt, erzählt er nicht. Gerade das – und weniger die Karriere der Dietrich, die sich am Ende in ihrer Pariser Wohnung abschottet und die Schwester verleugnet – wäre für heutige Zuschauer spannend gewesen.
Nächste Aufführungen: 16., 23. und 24. April