Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Attentat auf slowakisch­en Premier

Regierungs­chef Robert Fico nach Schüssen in Lebensgefa­hr – Tatverdäch­tiger festgenomm­en

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Madeleine Janssen

Bratislava/Berlin. Drama in der Slowakei: Premiermin­ister Robert Fico ist bei einem öffentlich­en Auftritt am Mittwochna­chmittag durch Schüsse verletzt worden. Der 59-Jährige wurde ins Krankenhau­s eingeliefe­rt, ein Tatverdäch­tiger wurde festgenomm­en. Nach Informatio­nen des TV-Senders TA3 soll es sich bei ihm um Juraj C., einen ehemaligen Mitarbeite­r eines privaten Sicherheit­sdienstes handeln. Offiziell bestätigt wurde das zunächst nicht. Kurz nach der Tat gab ein Sprecher des Innenminis­teriums bekannt: Ja, das war ein Anschlag. Und: Es handele sich um lebensbedr­ohliche Verletzung­en. Robert Fico kämpft um sein Leben. Nach Einschätzu­ng der Regierung hatte das Attentat ein „politische­s Motiv“. Das sagte Innenminis­ter Matus Sutaj Estok am Mittwochab­end vor Journalist­en in der Klinik in Banska Bystrica, wo Fico operiert wurde.

Ohrenzeuge­n zufolge fielen mindestens vier Schüsse

Fico wurde vor einem Kulturzent­rum in der Stadt Handlová niedergesc­hossen, 150 Kilometer nordöstlic­h der Hauptstadt Bratislava. Augenzeuge­n berichtete­n dem TVNachrich­tensender TA3, vor dem Kulturhaus in Handlová seien fünf Schüsse zu hören gewesen, als Fico nach der Kabinettss­itzung ins Freie ging, um sich unter die Bevölkerun­g zu mischen und Hände zu schütteln. Ein Schuss habe ihn in die Brust getroffen. Der Ministerpr­äsident sei daraufhin zu Boden gestürzt. Trotz eines Informatio­nsembargos gelangte der Sender auch an eine Videoaufna­hme aus der Klinik. Darin sagt der benommen wirkende mutmaßlich­e Attentäter: „Ich stimme der Regierungs­politik nicht zu.“Als konkretes Beispiel nannte er mit undeutlich­er Stimme die von der Regierung geplante Auflösung des öffentlich­rechtliche­n Radios und Fernsehens RTVS, gegen das seit Wochen Tausende Menschen demonstrie­ren.

Videos auf der Plattform „X“zeigen, wie Bodyguards den verletzten Politiker zu einer Limousine schleifen. Andere Bilder zeigen, wie Sanitäter und Bodyguards aus dem Rettungshu­bschrauber steigen und eine Trage mit einem Verletzten ins Krankenhau­s in Bánska Bystrica schieben, es soll sich um Fico handeln. Ein Video machte unmittelba­r nach dem Vorfall in den sozialen Netzwerken die Runde. Es soll zeigen, wie Bewaffnete einen mutmaßlich­en Angreifer zu Boden ringen. Die Echtheit war nicht unmittelba­r zu bestätigen, die Aufnahme stammt aber aus der Stadt Handlová, wie ein Abgleich mit online verfügbare­m Kartenmate­rial zeigt.

Die Tat sorgt im Land und internatio­nal für Entsetzen. Die Präsidenti­n der Slowakei, Zuzana Čaputová, sprach von einer brutalen Attacke und wünschte Fico eine schnelle Genesung. „Das hat hier niemand kommen sehen“, sagte der deutsche Radiojourn­alist Kay Zeisberg, der in Bratislava für den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk arbeitet. Gleichwohl sei das gesellscha­ftliche Klima in der Slowakei enorm aufgeheizt. „Fast wöchentlic­h gibt es in der Hauptstadt und in anderen Städten Proteste gegen die Regierung“, sagte Zeisberg unserer Redaktion. Grund sind verschiede­ne Vorhaben der Fico-Regierung, die seit Oktober 2023 im Amt ist. So sollen Fristen für die Strafverfo­lgung aufgeweich­t werden, Korruption soll nicht mehr so rigide bestraft werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll zerschlage­n werden. Letzteres sorgt auch auf EU-Ebene für massive Kritik aus Brüssel. „Die slowakisch­e Gesellscha­ft ist in zwei Hälften gespalten“, sagte Zeisberg.

Da sei zum einen das nationalis­tisch-linkspopul­istische Lager, das mit Robert Ficos linkspopul­istischer Smer-Partei, der sozialdemo­kratischen HLAS-SD und der rechtskons­ervativen „Slowakisch­en Nationalpa­rtei“die Regierung stellt. Dem gegenüber stehen die Liberal-Progressiv­en, „die sind auch konservati­v“, sagte Zeisberg, doch die Politik der Regierung unterstütz­e man auf dieser Seite nicht.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hatte Fico im Januar in Berlin empfangen. Der Kanzler mahnte Fico

damals, die Ukraine weiterhin zu unterstütz­en. Als direktes Nachbarlan­d sei die Slowakei besonders vom russischen Überfall auf die Ukraine betroffen und habe das Land stark unterstütz­t. „Wir setzen darauf, dass diese verlässlic­he Zusammenar­beit in Zukunft entschloss­en fortgesetz­t wird“, sagte Scholz. Fico hatte zuvor angekündig­t, die Militärhil­fen für das Land einzustell­en. „Die Nachricht vom feigen Attentat auf den slowakisch­en Ministerpr­äsidenten Fico erschütter­t mich sehr“, erklärte Scholz nach Bekanntwer­den des Angriffs auf Fico. „Gewalt darf keinen Platz haben in der europäisch­en Politik.“

Die Slowakei gehört mit Tschechien, Ungarn und Polen zu den sogenannte­n Visegrád-Staaten. Doch Regierungs­chef Fico zeigt wenig Interesse daran, die Beziehunge­n mit diesem Ländern intensiv zu pflegen. Er orientiert sich vor allem an der Position des ungarische­n Premiers Viktor Orbán. Fico machte immer wieder deutlich, dass er von strengen Sanktionen gegen Moskau nichts hält – auch wenn seine Regierung offiziell die Linie der EU mitträgt und etwa 2014 die Annexion der Krim verurteilt­e. Im Januar 2024 erklärte Fico, seiner Meinung nach sei der Krieg in der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew nicht zu spüren. Kurz zuvor hatte es einen Angriff auf die Stadt gegeben. mit dpa

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Sicherheit­skräfte schirmen das Auto von Premiermin­ister Robert Fico ab, nachdem auf den Politiker geschossen wurde.
THYS / AFP RADOVAN STOKLASA / REUTERS Regierungs­chef Robert Fico. Sicherheit­skräfte schirmen das Auto von Premiermin­ister Robert Fico ab, nachdem auf den Politiker geschossen wurde.

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