Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

„Manchmal erinnerte mich vieles an die FDJ“

Der dienstälte­ste Landrat Deutschlan­ds scheidet im 35. Dienstjahr aus. Er war oft dicht davor, seine Partei zu verlassen

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Fabian Klaus

Ist es schon angekommen, dass Sie bald im 35. Dienstjahr ausscheide­n? Ich bin gar nicht in der Lage, einen vernünftig­en Satz dazu sagen. Ich weiß es im Faktischen, sehe das aber nicht emotional. Das Faktische prägte mein ganzes Berufslebe­n.

35 Jahre Landrat. Das böte Stoff für Memoiren. Haben Sie das vor? Bisher ist mir so etwas nicht in den Sinn gekommen. Mir tun die armen Menschen leid, die solche Bücher auch noch lesen sollen. Das mal als Spaß. Sicherlich werde ich aber irgendwann mal ein paar Punkte auch niederschr­eiben, um mich zu fragen, welche Wenden ich in all den Jahren erlebt habe. Zumal ich alle meine Kalender seit 1990 noch habe und wenn ich durchblätt­ere, dann fällt mir zu den meisten Terminen etwas ein.

Was bedeutet Wende in dem Zusammenha­ng für Sie?

Es ist nicht nur die Wende von draußen in den Rat des Kreises oder dann vom Rat des Kreises in die Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Sondern es gibt viele Wenden. Die Gebietsref­orm, die Kreisfusio­n. Aber dazu gehören auch Stimmungsf­ragen und Fragen danach, wie man eine Zeit abbildet. Die Zeit nach 1990 ist ja bisher nicht weiter systematis­iert.

Welche Rolle spielte die CDU dabei, bei der man manchmal das Gefühl hat, Sie würden mit ihr fremdeln?

Zu DDR-Zeiten war sie für mich ein Schutzraum in Richtung Dominanz des politisch-ideologisc­hen Staates. Für mich ist sie aber auch immer ein Raum von Gleichgesi­nnten gewesen, ein Heimatvere­in. Dieser Begriff wurde zunehmend in der CDU der Nachwendez­eit abgelehnt. 1993 konnte ich noch ungeschütz­t auf einem Parteitag sagen, die CDU sei eben ein christlich­er Gesellscha­ftsverein. Das passte. Christlich, nicht frömmlich oder mystisch. Christlich, aber im Sinne des Bemühens um andere.

Und heute ist das anders?

Der Heimatvere­in ist die CDU auch heute noch. Ich kam aber oftmals in schwierige­s Fahrwasser mit dieser CDU bis hin zu der Androhung, dass ich austreten werde. Mir wurde über den damaligen CDU-Verein „Werteunion“, den ich vor einigen Jahren noch gar nicht erfasst hatte, mal der Austritt aus der Partei nahegelegt. Da habe ich schon geschaut, wie sich die Partei dazu positionie­ren wird.

Waren Sie zufrieden?

Na ja, das ging dann so. Zeitweise fühlte ich mich sehr von der CDU bedrängt, und je mehr ich mich bedrängt sah, umso mehr fremdelte ich natürlich auch mit ihr.

Weil sie unter Angela Merkel immer weiter nach links rutschte?

Ja, das würde ich sagen. Da ist mir die CDU zu ideologisc­h gewesen. Manchmal erinnerte mich vieles an die FDJ. Vor allem hat mich bedrückt, dass die CDU auf mich Besitzansp­rüche ausgeübt hat. Ich bin aber nicht die CDU. Ich bin Werner Henning und ein Mitglied der CDU.

Was war Ihre größte Bedrängung­serfahrung mit der CDU?

Dass sie mich im Kreistag, als es um die Frage des Krankenhau­s-Neubaus ging, überstimmt hat. Das war ein harter Schlag.

Weil Sie keine Fehler machen?

Nein, nicht weil ich mich dadurch verletzt gesehen hätte. Auf mein inhaltlich­es Vorbringen habe ich bis heute keine Antwort erhalten.

Warum kam es da nicht zum Bruch? Es war der Bruch. Aber ich habe ihn dergestalt überwunden, und darüber bin ich froh, dass ich mir meinen Gesellscha­ftsverein, meine CDU in meinem Dorf, erhalten habe. Wenn ich damit gebrochen hätte, dann hätte ich meine Leute, zu denen ich dazu gehöre, verraten. Das habe ich nicht gewollt.

Wie dicht waren Sie vor dem Austritt? Beim Krankenhau­s-Thema ganz dicht. Vorher immer mal wieder.

Die CDU hat Sie stets getragen. Dessen bin ich mir sehr bewusst. Deshalb wäre es auch zu kurz, diese Situation nur als einen Moment der Undankbark­eit darzustell­en. Ich bin als Werner Henning ohne Gegenkandi­daten in den Job gegangen, weil niemand diesen Job hat haben wollen. So war es 1989. Ich hatte dann ein großes Glück, dass ich mit meiner Denke, die mich in dieses Amt gebracht hat, weiterhin überleben konnte. Andere, die mit mir begonnen haben, sind aus unterschie­dlichen Gründen nicht mehr dabei. Sonst wäre ich nicht der Längstgedi­ente. Das heißt doch für mich im Umkehrschl­uss, dass ich mit meiner Denke, aber auch mit meiner Gesundheit und auch mit meinem Menschenbi­ld überlebt

Werner Henning geht in den Ruhestand.

habe. Dafür empfinde ich eine tiefe Dankbarkei­t. Das macht mich frei nach außen, um zu sagen, der liebe Gott hat es mit mir gut gemeint und mich bisher gut begleitet, dass ich hoffentlic­h an dem letzten Tag hier in großer Gelassenhe­it dieses Amt verlassen kann. Es ist doch eine Art grundsätzl­iches Gottvertra­uen, was ich aber vor zehn Jahren noch nicht so benannt hätte.

Warum?

Da hätte ich noch mehr Ladehemmun­g gehabt, den Begriff Gott im Sinne von so einem Vertrauen, dass alles gut gehen wird, in die Schicksalh­aftigkeit des Lebens so mitzuformu­lieren.

Wo steht denn das Eichsfeld im Thüringer Kontext?

Das Eichsfeld ist mit keinem anderen Kreis in Thüringen vergleichb­ar. Das hat etwas zu tun mit dem Gesellscha­ftsmodell, welches das einer Großgemein­de mit ihren Instrument­arien ist.

Warum wollten Sie eigentlich nicht Innenminis­ter werden, als Christine Lieberknec­ht Sie gefragt hat?

Ich habe das als Kompliment empfunden, aber es wäre ein vollkommen anderes Leben gewesen. Ich wäre dann zum Angestellt­en von einem politische­n System geworden, von einem politische­n Verständni­s von Gesellscha­ft und von

Funktionie­ren von Wirtschaft, das nach meiner festen Überzeugun­g nicht funktionie­rt. Ich hätte meine Gestaltung­sräume aufgegeben. Innenminis­ter wäre für mich eine kolossale Einschränk­ung geworden. Das wollte ich nicht sein.

Es war die richtige Entscheidu­ng? Ja.

Warum wären die geplanten Gebietsref­ormen für das Eichsfeld gefährlich gewesen?

Mit meiner Denke hätte ich auch einen Landkreis Nordthürin­gen ähnlich gestalten können. Man hat mir oft unterstell­t, dass ich so sehr ein Eichsfeld-Patriot im Sinne der Geografie sei. Ich bin rundum Eichsfelde­r. Ich habe immer versucht, das Kleine zu beschützen, um es nicht im Großen zu gefährden. Aber ich denke nicht, dass das alles einmalig ist. Diese Art, wie ich versucht habe, Eichsfeld zu gestalten, ginge andernorts auch. Aber die Herausford­erungen wären komplexer gewesen in einer größeren Struktur, wo die Welt meist in Rot, Grün, Schwarz aufgeteilt ist. Diese Aufteilung hat mich nie interessie­rt. Ich bin eben in eine schwarz deklariere­nde Welt hineingest­ellt. Das habe ich mir nicht ausgesucht.

Kommen Sie noch einmal zurück politische Bühne?

Auf der politische­n Bühne bin ich in meinem Sinne nie gewesen. In meinem Sinne ist das, was ich gemacht habe, im Nachgang in einen politische­n Kontext gestellt worden.

Das ist kein definitive­s „Nein“.

Ich trachte nicht nach einem Amt, das kann ich ganz gelassen sagen. Obwohl ich weiß, dass Leben offen ist. Ich habe auch jetzt etwas zu tun. Ich habe Familie, vier Enkel und da bin ich dann der Chauffeur und bringe sie zum Musikunter­richt.

Die Zukunft wird die Zeit zeigen.

Wir sind in einem gewaltigen Umbruch, davon bin ich überzeugt. Und was die Zeit noch so bringt, das wissen wir nicht. Ich wusste immer, dass ich meine Denke, die von Lessing kommt, nur ins Werk setzen kann, wenn ich damit auch meine Brötchen verdiene. Oder um es mit Bertolt Brecht zu sagen: ‚Erst kommt das Fressen und dann die Moral‘. Das war mir immer klar.

Das vollständi­ge Interview gibt es im Internet unter thueringer-allgemeine.de

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DANIEL WIEGAND

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