Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Wo das Recht an den Rand gedrängt wird
Reichsbürger und Neonazis, Verbrecherbanden und Extremisten suchen in Deutschland nach rechtsfreien Räumen
Berlin. Als Polizisten in Mittelfranken das Recht durchsetzen wollen, bezahlt ein junger Beamter den Einsatz mit seinem Leben. Der Täter war ein selbst ernannter „Reichsbürger“. Wolfgang P. lehnt die Bundesrepublik, ihre Grenzen, die Steuern und ihre Gesetze ab. Er schwärmt vom Deutschen Reich. Und als die Polizisten ihm am vergangenen Mittwoch die Waffen entziehen wollen, feuert er los.
Es ist ein extremer Fall in Mittelfranken. Doch es ist kein Einzelfall. Gewerkschaften beklagen, dass Polizisten auf Streife angepöbelt würden. Und in einzelnen Fällen auch mit Waffen attackiert würden. Manche Bürgermeister beklagen, dass Vereine oder Straßenfeste von Neonazis unterwandert würden. Doch nicht nur Rassisten streben nach Räumen, in denen das Recht an den Rand gedrängt wird – nach Orten, an denen Parallelwelten entstehen oder Gegenmächte zum Staat wachsen. Kriminelle Clans, Drogenhändler und Islamisten sind in den Metropolen aktiv.
Es gebe in Deutschland keine „rechtsfreien Räume“, sagt André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Doch er sagt auch: „Es gibt Orte und Milieus, die nur mit einem großen Aufwand und jeder Menge Polizeipersonal bewältigt werden können.“ Tatort Essen: Am helllichten Tag mitten in der Einkaufszone gehen drei Männer mit Fäusten und Messern aufeinander los. Mit Stichverletzungen am Hals bricht der Älteste zusammen. Ein Angriff, der wenige Stunden später gerächt wird. Als ein 21Jähriger am Abend ein Lokal am Stadtrand verlässt, feuert ihm ein 46-Jähriger fünf Kugeln in den Körper.
Seelenruhig lässt sich der Schütze später daheim festnehmen. Er guckt Fernsehen.
Libanesische Familienclans regeln im Ruhrgebiet seit Jahren ihre Angelegenheiten nach strengen, archaischen Gesetzen. Die Polizeigewerkschaft spricht längst von No-go-areas. Es sind Mhallami-kurden, die einst aus Südostanatolien in den Libanon flohen, von da aus in den 80erjahren nach Europa.
Rund 6000 leben in Essen – ihr Aufenthaltsstatus in Deutschland ist oft unsicher und prekär. Während viele versuchen, sich zu integrieren, haben andere ein kriminelles Netzwerk geschaffen. Sie leben von Drogenhandel und Prostitution, Hehlerei und Raubüberfällen, von Autoschieberei und Menschenhandel, von Schutzgelderpressung und Sozialhilfe-betrug. Tatort Hamburg: Es ist eine unauffällige Nebenstraße im Stadtteil Harburg, in dem die Taqwamoschee ihre Räume hat. Seit Jahren wird das Gebetshaus von Islamisten besucht – und vom Hamburger Verfassungsschutz beobachtet. Denn hinter den verhängten Fensterscheiben agieren auch Extremisten.
Im Zusammenhang mit Ausreisen von Dschihadisten in Richtung Syrien wurde die Moschee immer wieder von den Behörden genannt. So wie die Taqwa-moschee gibt es mehrere Szenetreffs in ganz Deutschland. Sie laden hetzerische Prediger ein, locken Jugendliche in die Gemeinschaft, sammeln Geld für extremistische Organisationen. Es sind Rückzugsorte der Radikalen.
Tatort Jamel: Das kleine Dorf in Mecklenburg-vorpommern ist das, was Rechtsextreme eine „national befreite Zone“nennen. Hier, so ihre Ideologie, regieren sie. Polizei und Justiz wissen, dass hier in der Mehrzahl der Häuser und Höfe Menschen mit rechter Gesinnung leben. 2015 brannte die Scheune eines Künstlerehepaars, Neonazigegner. Es wurde Brandbeschleuniger eingesetzt.
Im thüringischen Kirchheim feierten Neonazis für einen Tag ihre „national befreite Zone“. Sie veranstalteten ein Rechtsrock-konzert. 450 Extremisten kamen auf 900 Anwohner.
Jamel und Kirchheim sind nur zwei Beispiele für einzelne Gegenden in Deutschland, in denen Rechtsextremisten so präsent sind, dass eine Atmosphäre der Angst herrscht: für Andersdenkende, für Fremde.
Drogenhandel, Hehlerei, Raubüberfälle
Atmosphäre der Angst für Andersdenkende