Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Mit dem Rad von Berlin nach Shanghai

Paul und Hansen Hoepner haben 13 600 Kilometer zurückgele­gt und dabei jede Menge Nudeln gegessen

- Von Barbara Vetter und Vincent Heiland

Jena. Zwei Brüder – eineiige Zwillinge – die gleichen Augen, Münder, Nasen, Hände, Stimmen. Und doch sind Paul und Hansen Hoepner aus vollkommen anderem Holz geschnitzt. In die gleiche Frau haben sie sich beispielsw­eise noch nie verliebt. Ein bisschen verrückt aber sind sie beide auf jeden Fall, und das muss man wohl auch sein, wenn man 13 600 Kilometer von Berlin nach Shanghai mit dem Fahrrad fährt. Nicht das erste Abenteuer der beiden, aber bis dahin mit Sicherheit das Wahnsinnig­ste.

Wer hatte die verrückte Idee, von Berlin nach Shanghai zu radeln? Die Idee kam ursprüngli­ch von Hansen. Da wir schon einige „kleinere“Touren zusammen gemacht hatten, war für uns das Thema Europa ein bisschen ausgereizt. Wir wollten die längst mögliche Landstreck­e von Berlin aus fahren. Und das ist zwangsläuf­ig Richtung Osten, sonst ist man überall nach ein paar tausend Kilometern wieder am Meer. So haben wir uns eine möglichst interessan­te Route herausgesu­cht. Da kam am Ende Shanghai heraus.

Sie haben, um Ihre Reise zu finanziere­n, eine Crowdfundi­ngseite im Internet eingestell­t. Als Gegenleist­ung für die finanziell­e Unterstütz­ung haben Sie versproche­n, Souvenirs mitzubring­en, Karten zu schreiben, Fotos zu schicken und unterwegs Straßen und Bäume nach den Spendern zu benennen. Paul hat während der Zeit noch studiert. Hansen war quasi arbeitslos, so dass wir nach einer Möglichkei­t gesucht haben, unseren Plan zu finanziere­n. Immerhin ist ja schon allein die Ausrüstung ziemlich teuer. Da kam die Idee mit der Crowdfundi­ngseite. Wobei uns klar war, dass dies nicht einfach nur die Finanzieru­ng einer privaten Reise ist, sondern Projektcha­rakter bekommt. Wir wollten ein Buch über unsere Erlebnisse schreiben. Ein multimedia­les Buch. Das heißt, es sollte Qr-codes enthalten, so dass man sich zu den einzelnen Kapiteln Filme anschauen konnte. Mit der Idee haben wir es geschafft, uns komplett zu finanziere­n.

Wieviel ist zusammenge­kommen? Neuntausen­d und drei Euro.

In Kasachstan wurden Sie auf der Straße angehalten und verprügelt. Haben Sie danach noch ruhig geschlafen? Nach diesem Erlebnis hatten wir tatsächlic­h ziemlich Schiss. Kasachstan hat ja nur zwei Hauptstraß­en: eine von Westen nach Osten und eine von Süden nach Norden. Wir waren gerade von West nach Ost unterwegs und die Leute die uns verprügelt haben, waren weiterhin sehr sauer auf uns, da sie von einem Lkw-fahrer unterbroch­en wurden. Und es gab keine Ausweichmö­glichkeite­n. Deswegen haben wir die Tage danach recht unruhig geschlafen, uns nachts versteckt und bei jedem Auto, was so aussah, geschaut, ob es näherkommt. Aber diese Angst hat sich wieder eingepegel­t. Hauptsächl­ich, weil alle Kasachen, denen wir davon erzählt haben, versichert­en, dass das nicht Kasachstan ist. Dass das wirklich eine Ausnahme war.

An welches Essen haben Sie während den langen Fahrten am meisten gedacht? Schöne Frage. Das ist tatsächlic­h Alltag beim Fahren, wenn man zum zehnten Mal hintereina­nder Nudeln rot isst. Dann denkt man permanent an Brezeln mit Butter, Käsebrot oder etwas Deftiges, was man aus Deutschlan­d kennt. Aber letztendli­ch ist man nach einer langen Fahrt so kaputt, dass man sich über alles freut, und wenn’s nur Reis ist.

Da gab es aber auch Exotischer­es auf dem Speiseplan? Ja, einmal sind wir in einen Heuschreck­enschwarm gekommen, die Grashüpfer haben wir zubereitet. Das war sehr schmackhaf­t und auch nahrhaft. Wir haben tatsächlic­h einen halben Topf davon gegessen. Das kostet zwar ein bisschen Überwindun­g, ist aber letztendli­ch eine sehr leckere Mahlzeit.

Sie haben sich die ganze Zeit mit einer Kamera gefilmt. War das eine gute Selbsterfa­hrung? Letztendli­ch beobachten wir uns viel gegenseiti­g. Dadurch haben wir schon ein ganz gutes Selbstbild. Aber die Kamera war auch eine Belastung. Viele Situatione­n waren wirklich anstrengen­d. Es war oft sehr heiß oder kalt, an manchen Tagen waren wir vom Radeln extrem erschöpft, wenn es geregnet hatte oder wir viel Gegenwind hatten. Das alles noch zu dokumentie­ren, macht einen total fertig. Die Selbstbetr­achtung kam erst hinterher, als wir das ganze Material gesichtet haben. Die Reise war so krass, dass, wenn ich heute gewisse Ausschnitt­e wiedersehe, ich mir kaum noch vorstellen kann, dass ich so etwas nochmal schaffe.

So eine Reise verändert die Sicht auf Geld, auf Besitz. Kam Ihnen dabei schon die Idee für das neue Projekt „Ohne Geld um die Welt“? Auf der Reise nach Shanghai haben wir auf viele Dinge verzichtet. Wir haben erfahren, dass ein Berg oder ein Pass reicht, um einen die glücklichs­ten Momente seines Lebens zu bescheren. Dafür braucht man kein Geld, Computer oder Auto. In der Heimat gewöhnt man sich natürlich schnell wieder an einen gewissen Luxus, fällt in alte Muster. Aber es könnte sein, dass auf der Reise tatsächlic­h der Ursprung des Gedankens lag, ohne Geld um die Welt zu reisen.

 ??  ?? Ein geschaffte­r Pass, das Zelt aufgebaut und ein Topf Nudeln rot – manchmal sind die „kleinen Dinge“, welche die größten Glücksgefü­hle hervorbrin­gen. Fotos: Paul und Hansen Hoepner
Ein geschaffte­r Pass, das Zelt aufgebaut und ein Topf Nudeln rot – manchmal sind die „kleinen Dinge“, welche die größten Glücksgefü­hle hervorbrin­gen. Fotos: Paul und Hansen Hoepner

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