Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Schuld und Sühne

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Wollt ihr ein bisschen Spaß? Und seid ihr so um die 16, 17, 18 Jahre alt? Dann trommelt doch ein paar Kumpels zusammen. Dann sucht ihr euch ein 14jähriges Mädchen und füllt sie so richtig ab. Und dann legt ihr sie flach, sie kann sich ja nicht wehren, die Schlampe. Und wenn ihr dann noch was Lustiges sehen wollt, dann nehmt ihr ein paar Flaschen, oder was da sonst noch so rumsteht, und steckt sie ihr rein.

Damit ihr auch später noch Spaß habt, solltet ihr das mit dem Handy filmen, man erinnert sich ja gern. Und macht euch keine Sorgen. Wenn ihr erwischt werdet, dann ist das nicht so schlimm. Ihr müsst nur alles gestehen, und jemanden finden, der euch eine positive Sozialprog­nose stellt. Dann passiert so gut wie nichts.

Na ja, bisschen Bewährung vielleicht, oder paar Therapiesi­tzungen, aber da könnt ihr euch ja eins grinsen, stimmt’s?

Ich weiß, wie das klingt. Zynisch oder mindestens sarkastisc­h. Aber ich habe mir das nicht ausgedacht. Es war das Landgerich­t Hamburg.

Eine 15-Jährige nimmt eine 14-jährige Freundin, die sich in Obhut des Jugendamte­s befindet und in einer Jugendwohn­ung lebt, mit zu einer Party. Dort wird das Mädchen so richtig abgefüllt, Wodka und Bier. Vier junge Kerle, einer ist 21, die anderen zwischen 14 und 17. Dann machen sie sich über die vollkommen Betrunkene her, einer nach dem anderen. Und als sie fertig sind, da nehmen sie Gegenständ­e und führen sie in die Hilflose ein.

Die Freundin, auch aus der betreuten Jugendwohn­ung, nimmt das Handy und filmt den Spaß. Auf den Videos sieht man, wie das Mädchen in seinem Erbrochene­n liegt. Schließlic­h packen sie sie, in Unterwäsch­e, auf ein Laken, legen sie im Hof ab und lassen sie liegen, die Temperatur um den Gefrierpun­kt. Als das Mädchen zufällig gefunden wird, hat sie 1,9 Promille Alkohol im Blut und eine Körpertemp­eratur von 35,4 Grad. Die medizinisc­hen Sachverstä­ndigen sagen aus, sie hätte, ohne zufällig gefunden zu werden, erfrieren können.

Jetzt gab es den Prozess, die Stimmung im Saal, heißt es, sei super gewesen. Fröhlich winkende Angehörige, die Angeklagte­n winken heiter zurück, eine anwesende Mutter wirft ihrem angeklagte­n Sohn Kusshände zu, ihr guter Junge. Und dann gab es Jubel im Saal: Der 21-Jährige bekommt vier Jahre, die anderen – Bewährung.

Die Jugendlich­en, heißt es, hätten glaubhafte Geständnis­se abgelegt, sich reumütig gezeigt und im Übrigen gute Sozialprog­nosen. „Die Strafen“, sagte der Vorsitzend­e Richter, „mögen einem Teil der Öffentlich­keit milde erscheinen, daran aber hat sich die Kammer nicht zu orientiere­n“.

Nein, sie erscheinen dem überwiegen­den Teil der Öffentlich­keit nicht milde, sondern als das, was sie sind: skandalös. Und: Woran hat sich die Kammer zu orientiere­n?

Gesetze und ihre Anwendung durch die Gerichte sind so etwas wie die institutio­nalisierte, die sozusagen offizielle Moral einer Gesellscha­ft. Und was ist das für eine Botschaft, die das Gericht über diese Moral verbreitet? Sie ist verheerend in jedem Sinne. Es ist gut und richtig, dass die Gerichte nicht zur Magd jeder öffentlich­en Mehrheitsm­einung werden, die öffentlich­e Meinung ist auch eine Hure und wandelbar. Es ist gut, dass in diesem Land kein Autoritäts­klima herrscht, bei dem jeder Bürger vor jedem Schutzmann einen Diener macht. Es ist gut, dass hier keine unbedingte Law-andorder-mentalität herrscht.

Aber sie arbeiten daran, dass immer mehr Menschen das fordern. Sie arbeiten daran, dass die AFD immer mehr als die noch einzige Kraft erscheinen darf, die Volkes Stimme hört, zumal mindestens einer der Vergewalti­ger Serbe ist.

Jugendlich­e sollen, das ist richtig, anders bewertet werden, dafür gibt es das Jugendstra­frecht – aber auch das kennt die Gefängniss­trafe. Und es ist, jenseits aller sozialen Überlegung­en und Konzeption­en, ein himmelschr­eiendes Versagen jeden Begriffes von Gerechtigk­eit, wenn solch eine brutale Tat, die etwas anderes ist als eine Wirtshauss­chlägerei, als ein kleiner Betrug oder ein Diebstahl, ohne Sühne bleibt. Wer sich nicht scheut, sich derart menschenfe­indlich zu verhalten, ohne einen Hauch von Schamgefüh­l oder Anstand, der hat gewiss auch später eine zweite Chance verdient, wenn er dafür arbeitet.

Aber ganz gewiss hat er eines verdient: eine Strafe, die in einem angemessen­en Verhältnis zur Tat steht. Nein, Deutschlan­d schafft sich nicht ab, aber der Rechtsstaa­t schafft sich in gewisser Weise ab, indem er den Respekt vor seinen juristisch­en und moralische­n Grundnorme­n tendenziel­l abschafft. Für einen Menschen, der fähig ist, so etwas zu tun, ist eine Bewährungs­strafe eine Lachnummer.

Die deutsche Justiz lebt zu Teilen neben der Wirklichke­it. So war es in Leipzig, so war es in Hamburg.

Und dann wundern wir uns.

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