Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Kinderspiel, Jugendzeit und Reife
Von der Unbeschwertheit in den Kinderjahren und der Pflichterfüllung als Erwachsener
Wir werden in eine Welt hineingeboren, in der wir ein kleiner Bestandteil sind. Dennoch war mir in meiner Kindheit so, als hätte die Welt erst mit mir angefangen, und alles würde nur meinetwegen geschehen.
Ich war umsorgt von Mutter und Vater und war deswegen sorgenfrei, obwohl auch meine Kinderseele Erschütterungen erlebte. Das waren schnell vergängliche Ereignisse, Weinen und Lachen lagen nah beieinander.
Ich weiß nicht mehr, wie ich das Laufen lernte, ich weiß aber noch, wie ich so manches mal beim Rennen oder Radfahren hinstürzte und weinend aufstand und voller Schrecken meine blutenden Haut-schürfer betrachtete. Bald danach war meine Welt wieder verheilt und in Ordnung.
Damals wusste ich nicht, dass das kleine Fließgewässer in der Nähe meines Elternhauses Kleiner Leinakanal heißt, an der Wäsche-bleiche vorbeifloss und sich durch die Müllerwiese schlängelte. Ich habe aber noch deutlich vor Augen, dass ich manchmal in das kalte Wasser fiel und dass dieses Stürzen voller Dramatik war, wenn ich wassertriefend und schlotternd nach Hause lief.
Ich wurde manchmal, zusammen mit meinen Spielkameraden, zum Zuschauer, wenn es einem anderen aus unserem Trüppchen ähnlich erging. Wir schauten, selbst ein wenig erschrocken, dem Pechvogel nach, als dieser weinend nach Hause rannte und an diesem Tag nicht wieder zu sehen war. Wir waren am heutigen Tag trocken geblieben. Mit diesem Frohsinn haben wir unser Spiel fortgesetzt.
In unserem Dorf gab es zwei Mühlen. Mit Vorliebe gingen wir dem Leinakanal aufwärts zur Obermühle. Wir wussten, dass wir dort nicht unwillkommen waren und dass uns Dieter, der Jungmüller, in die für uns geheimnisumwitterte Mühlenapparaturen, Gänge, Nischen und Getreidekammern einweihte.
Wenn es Dieters Zeit erlaubte, gab er uns die Möglichkeit, uns im Labyrinth der Mühle und der Radstube des Mühlrades zu verstecken. Manchmal erweiterten wir unsere Versteckmöglichkeiten über den Mühlenhof hinweg zur Scheune, in deren Heu-bansen wir uns verkrochen und uns meist zu sicher waren, dort schnell entdeckt zu werden. Noch heute spüre ich Dieters starke Hand, die mich am Hosenbein ergriff und damit das Spiel beendete, damit ein neues beginnen konnte. Wir verloren uns selbstvergessen im Einssein mit der Leichtigkeit des abenteuerlichen Treibens.
Heute betrachte ich diese unbeschwerten Spiele als eine fruchtbare Überleitung zum Ernst des Lebens. Mit den Jahren nahmen die Pflichten zu. Nicht selten meldete sich der jugendliche Widerspruchsgeist in mir, sie zu erfüllen. Mit den Jahren des stillen, fast unbemerkten Reifens verflüchtigte sich dieser Widerpart, und die Pflichterfüllung wurde mir zunehmend zur Freude, weil aus ihr ansehnliche Arbeitsergebnisse erwuchsen. Die vor mir stehenden Aufgaben nahm ich mithilfe meines Verstandes immer ernst.
Die Abfolge des Lebens war jedoch nicht immer vorherbestimmbar, sie war häufig ein wenig bedachtes Ungefähr, welches von meinen wechselhaften Neigungen abhing. Meist verlief alles planlos-intuitiv und irgendwie doch geleitet.
Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen heute für mich zu einem Ganzen, und ich weiß besser noch als vor Jahren, was das bisherige Leben von mir gewollt hat.