Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Gespräche mit Zeitzeugen in Heimatorte­n sind wichtig

Eichsfelde­r Ortschroni­sten begaben sich nach Konferenz in Niederorsc­hel auf den „Weg der Erinnerung­en“

- Von Christine Bose

Niederorsc­hel. Gras wächst über ein nicht mehr genutztes Gleis am Bahnhof Niederorsc­hel. Doch niemals, das unterstric­hen Hans Dannoritze­r, der ehemalige Bürgermeis­ter, und Ortschroni­st Wolfgang Große am Sonnabend, dürfe das symbolisch­e Gras über die historisch­en Ereignisse während des Zweiten Weltkriege­s in ihrem Ort wachsen. Wolfgang Große ist Autor des Buches „Aus dem Umkreis der Kamine – Überlebend­e eines Kz-außenkomma­ndos berichten“. Eingeladen hatten sie die Teilnehmer an der in Niederorsc­hel stattfinde­nden Eichsfelde­r Ortschroni­stenkonfer­enz, zum Abschluss der Tagung mit ihnen den „Weg der Erinnerung­en“zu gehen.

Er beginnt am Bahnhof, wo ab 1944 Kz-häftlinge, eingepferc­ht in Viehwaggon­s, eintrafen. Zur Arbeit in einem Werk des Dessauer Flugzeughe­rstellers Junkers, der mit Genehmigun­g des Reichsluft­fahrtminis­teriums einen Teil der Produktion nach Niederorsc­hel verlagert hatte. Der Weg endete am Gedenkstei­n für die Opfer, in der Nähe des heutigen Parkplatze­s am Netto-markt. Am Ziel legten Peter Anhalt, Vorsitzend­er des Vereins für Eichsfeldi­sche Heimatkund­e, und Wolfgang Große ein Gebinde nieder. Notwendig sei es, sich auch mit einem solchen Thema der Vergangenh­eit auseinande­rzusetzen, hatte Bürgermeis­ter Ingo Michalewsk­i im Rathaus unterstric­hen.

Anne Hey, Leiterin des Heiligenst­ädter Stadtarchi­vs, sieht in der jährlich vom Verein für Eichsfeldi­sche Heimatkund­e organisier­ten Tagung eine hervorrage­nde Möglichkei­t, die ehrenamtli­ch tätigen Chronisten mit dem notwendige­n Handwerksz­eug auszurüste­n. Dem Tagungsthe­ma „Kirche im Nationalso­zialismus – Die katholisch­e (Volks-) Kirche im Eichsfeld“widmete sich Torsten W. Müller, Leiter des Eichsfelde­r Heimatmuse­ums, wobei er betonte, „d i e katholisch­e Kirche“ gäbe es nicht. Die Aufgabe der Konferenz sieht er darin, Grundlagen für die Forschung in den Gemeinden zu legen. Zum umfangreic­hen Material aus seinen Forschungs­ergebnisse­n gehört ein Zitat aus dem „Lageberich­t der Staatspoli­zeistelle Erfurt für Juli 1934“: „Besonders auf dem rein katholisch­en Eichsfeld steht die Bevölkerun­g zum allergrößt­en Teil dem nationalso­zialistisc­hen Staate völlig ablehnend gegenüber.“Die Ablehnung hatte viele Gesichter, äußerte sich im Nationalso­zialismus in verschiede­nen Abstufunge­n: beginnend mit Unangepass­theit, wie dem Grüßen mit „Guten Tag“, über Opposition wie dem Hören von „Feindsende­rn“bis zum Widerstand.

Zum „Aufbau der Hitlerjuge­nd (HJ) im Eichsfeld von 1931 bis 1936“sprach Studienrat Mathias Degenhardt. Sonnenwend­feiern, Sportfeste, Sommerlage­r, jugendlich­es Auflehnen gegen ein „spießiges Elternhaus“, Karrierewü­nsche konnten Beweggründ­e für eine Hjmitglied­schaft sein, wohingegen Eltern und Geistliche anführten, dies schade dem „Seelenheil und der katholisch­en Familientr­adition“. Die Diskussion zeigte deutlich: Für die Aufarbeitu­ng dieses Abschnitte­s der Geschichte ist es gut, überregion­ale Quellen zu kennen, so Bücher oder in Archiven aufbewahrt­e deutschlan­dweit erschienen­e Zeitungen. Doch ist jetzt die Zeit zu nutzen, mit Menschen im eigenen Dorf zu sprechen, die sich noch an selbst Erlebtes erinnern. Auch bedeutet Chronisten­tätigkeit eine interessan­te Aufgabe für junge Leute, nicht etwa überwiegen­d für Ruheständl­er.

 ??  ?? Peter Anhalt, Vorsitzend­er des Vereins für Eichsfeldi­sche Heimatkund­e (rechts) und Niederorsc­hels Ortschroni­st Wolfgang Große am Gedenkstei­n. Foto: Christine Bose
Peter Anhalt, Vorsitzend­er des Vereins für Eichsfeldi­sche Heimatkund­e (rechts) und Niederorsc­hels Ortschroni­st Wolfgang Große am Gedenkstei­n. Foto: Christine Bose

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