Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Gespräche mit Zeitzeugen in Heimatorten sind wichtig
Eichsfelder Ortschronisten begaben sich nach Konferenz in Niederorschel auf den „Weg der Erinnerungen“
Niederorschel. Gras wächst über ein nicht mehr genutztes Gleis am Bahnhof Niederorschel. Doch niemals, das unterstrichen Hans Dannoritzer, der ehemalige Bürgermeister, und Ortschronist Wolfgang Große am Sonnabend, dürfe das symbolische Gras über die historischen Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges in ihrem Ort wachsen. Wolfgang Große ist Autor des Buches „Aus dem Umkreis der Kamine – Überlebende eines Kz-außenkommandos berichten“. Eingeladen hatten sie die Teilnehmer an der in Niederorschel stattfindenden Eichsfelder Ortschronistenkonferenz, zum Abschluss der Tagung mit ihnen den „Weg der Erinnerungen“zu gehen.
Er beginnt am Bahnhof, wo ab 1944 Kz-häftlinge, eingepfercht in Viehwaggons, eintrafen. Zur Arbeit in einem Werk des Dessauer Flugzeugherstellers Junkers, der mit Genehmigung des Reichsluftfahrtministeriums einen Teil der Produktion nach Niederorschel verlagert hatte. Der Weg endete am Gedenkstein für die Opfer, in der Nähe des heutigen Parkplatzes am Netto-markt. Am Ziel legten Peter Anhalt, Vorsitzender des Vereins für Eichsfeldische Heimatkunde, und Wolfgang Große ein Gebinde nieder. Notwendig sei es, sich auch mit einem solchen Thema der Vergangenheit auseinanderzusetzen, hatte Bürgermeister Ingo Michalewski im Rathaus unterstrichen.
Anne Hey, Leiterin des Heiligenstädter Stadtarchivs, sieht in der jährlich vom Verein für Eichsfeldische Heimatkunde organisierten Tagung eine hervorragende Möglichkeit, die ehrenamtlich tätigen Chronisten mit dem notwendigen Handwerkszeug auszurüsten. Dem Tagungsthema „Kirche im Nationalsozialismus – Die katholische (Volks-) Kirche im Eichsfeld“widmete sich Torsten W. Müller, Leiter des Eichsfelder Heimatmuseums, wobei er betonte, „d i e katholische Kirche“ gäbe es nicht. Die Aufgabe der Konferenz sieht er darin, Grundlagen für die Forschung in den Gemeinden zu legen. Zum umfangreichen Material aus seinen Forschungsergebnissen gehört ein Zitat aus dem „Lagebericht der Staatspolizeistelle Erfurt für Juli 1934“: „Besonders auf dem rein katholischen Eichsfeld steht die Bevölkerung zum allergrößten Teil dem nationalsozialistischen Staate völlig ablehnend gegenüber.“Die Ablehnung hatte viele Gesichter, äußerte sich im Nationalsozialismus in verschiedenen Abstufungen: beginnend mit Unangepasstheit, wie dem Grüßen mit „Guten Tag“, über Opposition wie dem Hören von „Feindsendern“bis zum Widerstand.
Zum „Aufbau der Hitlerjugend (HJ) im Eichsfeld von 1931 bis 1936“sprach Studienrat Mathias Degenhardt. Sonnenwendfeiern, Sportfeste, Sommerlager, jugendliches Auflehnen gegen ein „spießiges Elternhaus“, Karrierewünsche konnten Beweggründe für eine Hjmitgliedschaft sein, wohingegen Eltern und Geistliche anführten, dies schade dem „Seelenheil und der katholischen Familientradition“. Die Diskussion zeigte deutlich: Für die Aufarbeitung dieses Abschnittes der Geschichte ist es gut, überregionale Quellen zu kennen, so Bücher oder in Archiven aufbewahrte deutschlandweit erschienene Zeitungen. Doch ist jetzt die Zeit zu nutzen, mit Menschen im eigenen Dorf zu sprechen, die sich noch an selbst Erlebtes erinnern. Auch bedeutet Chronistentätigkeit eine interessante Aufgabe für junge Leute, nicht etwa überwiegend für Ruheständler.