Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Die Gladiatoren sind unter uns
Vor dem Duell zwischen Arthur Abraham und Robin Krasniqi in der Messehalle herrscht am Tag der Berufsboxer im Thüringen Park der Ausnahmezustand
Erfurt.
Draußen fällt der letzte Schnee. Drinnen kocht die Luft. Im Thüringen Park drängen sich an jenem ganz gewöhnlichen Mittwochnachmittag nach Ostern die Menschen wie beim Winterschlussverkauf. Zwischen Obststand und Feinbäckerei gibt es Gerangel um das fünf mal fünf Meter große Seilquadrat, das da an der Rolltreppe aufgebaut ist, und als dann direkt neben der Eisdiele die ersten Fäuste fliegen, befinden sich auch die Zuschauer ganz oben auf der Galerie im Nahkampf. Die ganz Schlauen (unter den Frauen) fahren die Treppe rauf und runter, um die starken Männer auch mal unter sich zu sehen.
Da unten ist ja auch was los. Schlaggeprassel, Wortgefechte, Muskelspiele – im Boxring geht es heftig bis lustig zu. Drei Tage vor der Boxgala in der Erfurter Messehalle genießen die hartgesottenen Faustkämpfer, die sich am Sonnabend um Geld und Titel schlagen, beim öffentlichen Showtraining sichtlich das unverhoffte Bad in der Menge.
„Die richtige Einstimmung für den Tag X“, strahlt Arthur Abraham. Der ehemalige Weltmeister, der sich im zarten Alter von 37 Jahren mit einem Sieg über den sieben Jahre jüngeren Münchener Robin Krasniqi noch einmal die Chance auf einen letzten großen Titel im Supermittelgewicht erboxen will, drischt einige Male scheinbar erbarmungslos auf seinen Trainer ein, bis dem die Wangen und ledernen Tatzen glühen. „Tut gar nicht weh“, lacht der Berliner mit der Reibeisenstimme tapfer, verweist aber vorsichtshalber auf seinen Altersschutz – er wird in der kommenden Woche immerhin 75! – und warnt Arthur: „Verrate deinen Geheimschlag für Sonnabend nicht“.
Da muss auch Krasniqi lachen, der anschließend mit seinem usbekischen Trainer Magomed Schaburow, der immerhin mal sowjetischer Meister war, einen lockeren Tatzentanz hinlegt. „Wir kennen seine Geheimwaffen“, sagt der Bayer mit bosnischen Wurzeln, „wir haben lange Abende Abraham-videos studiert“.
Ulf Steinforth nickt beifällig, wird aber ans Telefon gerufen. Eine Bitte um Eintrittskarten vom Botschafter Bosniens, der kurzfristig mit Robins Namensvetter Luan Krasniqi, Exweltmeister im Schwergewicht, in Erfurt einfliegen will, bringt den Magdeburger Erfolgspromoter ins Grübeln: „Wir sind doch fast schon ausverkauft!“.
Zuvor hat Steinforths jüngstes Boxjuwel für Raunen in der Ringrunde und für Verzückung bei den zuschauenden Damen aller Altersklassen gesorgt.
Der 22-jährige Magdeburger Tom Schwarz, 1,97 Meter groß und heute beim öffentlichen Wiegen im Thüringen Park wohl 107 Kilo auf die Waage bringend, gilt als große deutsche Hoffnung in der Königsklasse. Der zweifache Juniorenweltmeister im Schwergewicht, der am Sonnabend in einem 10Runden-duell gegen den 40-jährigen Bosnier Adnan Redzovic um den Wbo-inter-continentaltitel kämpft, lässt sich von Trainer Dirk Dzemski ein paar Minuten locker durch den Trainingsring jagen, ehe er sich den Autogrammjägern und Selfie-jägerinnen an der Eisdiele ergibt.
Mehr schreiben als boxen muss schließlich auch Trainerfuchs Ulli Wegner, der im
Thüringen Park mitten in der Menschentraube ein fröhliches Wiedersehen mit den einstigen Erfurter Boxmeistern Wolfgang Hübner, Gerd Constantin und anderen Kampfgefährten aus alten Zeiten feiert. „In Erfurt habe ich viel gelernt“, sagt der Berliner, „und der unvergessene Karli Altstädt war mein erster großer Lehrmeister.“
Ein Lehrmeister aus Thüringen hört andächtig zu. Bsc-trainer Uwe Bellstedt ist mit zwei seiner besten Schützlinge aus Mühlhausen nach Erfurt gekommen, um die internationalen Vorbilder aus nächster Nähe zu erleben. Die 18-jährigen Zwillinge Andre und Maik Werner, im Vorjahr Gold- und Bronzemedaillengewinner der deutschen Meisterschaften, erlernen derzeit erst einmal einen Mechanikerberuf, träumen aber manchmal schon von einer Boxkarriere.
Faszination Berufsboxen. Die Faustfechter von heute sind die Gladiatoren unserer Tage. Bekannt, beliebt, gefürchtet. Hochtrainiert und wildentschlossen. Nur besser bezahlt.
Allerdings lebt wohl ein guter Mechaniker auf Dauer etwas besser als ein schlechter Profi.
„Boxen ist ein ehrlicher Sport, Mann gegen Mann, da gibt es kein Kneifen und keine Ausreden“, sagt unterdessen Kerstin Neudorf, die Physiotherapeutin aus Weimar, die zwischendurch am Obststand einen Bananendrink schlürft. „Solange kein Blut fließt, guck ich mir das gerne an.“
Das war zu Zeiten der Gladiatoren etwas anders.
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Samstag, . ., ab Uhr, Messehalle Erfurt Restkarten sind noch an der Abendkasse erhältlich.