Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Wie ein reiches Land zerfällt
Venezuela hat die größten Ölreserven der Welt. Jetzt werden Benzin und Brot knapp. Die Menschen rebellieren
Caracas.
Tränengas, Schüsse, und tote Demonstranten: Es sind dramatische Bilder, die aus Venezuela um die Welt gehen. Hunderttausende Menschen protestieren gegen das sozialistische Regierungssystem, gegen die schwere Wirtschaftskrise und die weltweit höchste Inflation in ihrem Land. Venezuela besitzt zwar die größten Ölreserven der Welt, doch für die Bevölkerung werden die Lebensmittel knapp. Ein eigentlich sehr reiches Land verarmt und zerfällt – wie konnte es so weit kommen?
In diesen Tagen sorgte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro unfreiwillig für Erheiterung. In einer öffentlichen Veranstaltung griff er die Bäcker an. Er sprach vom „Brot-krieg“der Backindustrie. Sie nutze das knappe Mehl, um Kuchen statt Brot zu backen. Polizei und Nationalgarde rückten aus, nahmen angeblich volksfeindliche Bäcker fest und besetzten Großbäckereien, um sie in staatliche Hände zu überführen.
Wenn etwas im Land des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“nicht mehr funktioniert, sind oft die anderen schuld: Die USA, die Bourgeoisie, die Privatindustrie. Alle hätten sie eine „guerra económica“, einen Wirtschaftskrieg angezettelt, lautet die offzielle Erklärung.
Ähnlich Absurdes passierte in Venezuela vor Kurzem mit dem Benzin – als im Land mit den höchsten nachgewiesenen Ölreserven der Welt der Sprit knapp wurde. Venezuelas Staatskonzern PDVSA ist derart abgewirtschaftet, dass er nicht genügend Raffineriekapazität hat, um aus Öl Benzin zu machen. Also wird das Öl exportiert und teuer als Benzin wieder eingekauft.
Weil das südamerikanische Land mit gerade noch 10,5 Milliarden Dollar Devisenreserven aber kaum Geld für Importe hat, wurden die Benzineinkäufe gekürzt. Von 290 Tankstellen in der Hauptstadt Caracas hatten Ende März nur noch 90 Treibstoff in den Zapfsäulen. Pdvsavizepräsident Ysmel Serrano behauptete jedoch: „Es gibt Verzögerungen bei den Schiffstransporten mit Treibstoff“.
Lügen, Lavieren und Lamentieren – so ließe sich die Wirtschaftspolitik nach vier Jahren Maduro-regierung umschreiben. Seit der einstige Vertraute des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez im März 2013 das Ruder in Venezuela übernommen hat, geht die Ökonomie auf Talfahrt. Es sind vor allem die Folgen einer verfehlten Wirtschaftspolitik mit Devisen- und Preiskontrollen, De-industrialisierung und dem konsequenten Vergraulen der Privatindustrie, die das Land Kurs auf Kollaps haben nehmen lassen.
Aber Maduro hat auch Pech gehabt. Seit er an der Macht ist, sind die Ölpreise in den Keller gegangen. Nahm Venezuela unter Chávez noch rund 100 Dollar pro Fass ein, sind es derzeit gerade noch 41 Dollar. Für ein Land, das von Toastbrot bis zum Toilettenpapier alles importieren muss, ist ein niedriger Ölpreis fatal. Denn 95 Prozent der Exporte Venezuelas sind Rohöl. Ein Dollar Schwankung des Weltmarktpreises bedeutet für Venezuela aufs Jahr gerechnet 750 Millionen Dollar mehr oder weniger in der Kasse.
Da Venezuela immer weniger Öl fördert, hat der Staat kaum Geld für Importe. So stehen die Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit vor Supermärkten Schlange. Rund vier Stunden täglich bringen die Venezolaner damit zu. Man weiß nie, ob die Lastwagen kommen – immer öfter bringen sie gar nichts.
Zudem pulverisiert eine der höchsten Preissteigerungsraten der Welt die Ersparnisse und Löhne der Menschen. Und so hat ein großer Teil der Bevölkerung in einem der rohstoffreichsten Länder der Welt inzwischen Hunger: 74 Prozent der Venezolaner haben im vergangenen Jahr knapp neun Kilo an Gewicht verloren. Kinder gehen nicht in die Schule, weil sie daheim kein Frühstück bekommen. Krankenhäuser schließen ihre OPS, weil Ersatzteile für wichtige Apparate fehlen. Sterbenskranke Menschen finden keine Medikamente. Unternehmen stellen ihre Produktion ein, weil der Staat ihnen keine Devisen zuteilt und sie keine Ersatzteile importieren können.
So ist der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“längst am Ende. Die Inflation könnte dieses Jahr die sagenhafte Quote von 1600 Prozent erreichen. Da wundert es nicht, dass dem sozialistischen Land nun auch noch der finanzielle Kollaps droht. Die Regierung in Caracas muss dieses Jahr knapp zehn Milliarden Dollar an ihre Gläubiger erstatten. Insgesamt haben der Staat und der Staatskonzern PDVSA Bonds im Wert von 110 Milliarden Dollar aufgelegt. Geld, das Venezuela nicht hat. Die Staatspleite könnte nur noch Wochen entfernt sein. Dann droht der größte Zahlungsausfall in Lateinamerika seit dem Staatsbankrott Argentiniens vor gut 15 Jahren. Die Regierung hat ihr reiches Land ruiniert. Das Ende des Regimes Maduro ist nur noch eine Frage der Zeit.