Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Die Zeitalter im Salon
Pfingstfestival Schloss Ettersburg denkt vom 27. Mai bis 11. Juni über unsere Gesellschaft nach, bietet viel Musik und auch Literatur
Ettersburg.
Sophie Zelami zum Beispiel. Die schwedische Sängerin, ein Star der musikalischen Traurigkeit, macht auf ihrer Tournee zum zwölften Album genau dreimal Station in Deutschland: Hamburg, Berlin – und Ettersburg. Ihr hiesiges „My Song“-konzert ist längst ausverkauft.
Das gilt ebenso für Friend’n Fellow, gleichsam so etwas wie die Hausband des Pfingstfestivals: Das Soulduo lädt sich diesmal Bobo In White Wooden Houses als Bühnenpartner seines Clubkonzertes ein.
Nun ist der Gewehrsaal, wichtigster Spielort auf Schloss Ettersburg, nicht sonderlich groß. 150 bis 200 Leute finden dort Platz, je nach Veranstaltung. Ein Club eben, wahlweise auch ein Salon, wo es klein und fein zugeht, bisweilen auch hoch her.
So wie es ein Weilchen dauert, von Weimar aus hinter den alten Hausberg der Stadt zu gelangen, und erst recht von Erfurt oder Jena aus, so war es jedoch auch ein längerer Weg, den historischen Kulturort zurück ins Leben und ins Gedächtnis zu rufen.
„Das Grundanliegen ist die Revitalisierung des Hauses“, beschreibt Schlossdirektor Peter Krause, was er im Auftrag des Bildungswerkes Bau Hessen-thüringen (als Investor und Pächter) zu tun hat. Das Wirtschaftliche, wozu auch über 100 Hochzeitsfeste im Jahr gehören, der Bildungsauftrag als „Bauhaus-akademie“und das Kulturprogramm müssten dabei ineinander greifen, so Krause.
Im siebten Jahr des Pfingstfestivals, das er in diesem Zusammenhang erfand, sieht er sich auf dem richtigen Weg: mit einer Vielfalt unterhaltender Konzerte ebenso wie mit prominent besetzten Lesungen und Gesprächen. Dabei macht er erklärtermaßen „kein Weimarer Festival“, wie er betont; allenfalls ein Drittel der Besucher kommt aus der nahen Stadt. Den Ruf aus Ettersburg hört man längst überregional, sowohl, was die Besucher betrifft (über 2000 von höchstens 3500 Festivalkarten sind bereits verkauft worden) als auch die künstlerischen und intellektuellen Protagonisten. „Es gibt überhaupt keine Probleme mehr, jemanden für Auftritte zu bekommen“, sagt Krause mit gewissem Stolz.
Rund ein Drittel der 30 Veranstaltungen pflegt in diesem Jahr den Diskurs. Inspiriert unter anderem durch die Jubiläen von Reformation und Oktoberrevolution, hat Krause die seiner Ansicht nach „spannendsten Denker des Landes“versammelt, um auf diese oder jene Weise dem Begriff des Zeitalters nachzusinnen.
Zu den Denkern zählt Krause Sahra Wagenknecht, die er ausdrücklich nicht als Politikerin einlud. Sie bewege sich „immer auch auf einer durchaus metapolitischen Ebene“, findet er. Wagenknecht diskutiert mit dem Berliner Historiker, Gewaltforscher und Stalinismusexperten Jörg Baberowski über die Oktoberrevolution.
Das Gespräch ist ausgebucht. Krause denkt aufgrund der großen Nachfrage darüber nach, es nach draußen zu übertragen, in den Park. Denkbar hält er das auch für den Auftritt von Thilo Sarrazin, der vor ausverkauftem Saal über „Wunschpolitik“sprechen wird.
Sarrazin als einer der spannendsten Denker des Landes? „Das glaube ich schon“, so Krause. Sein Buch „Wunschdenken“finde er zwar „ein bisschen schwierig“, doch gehöre er „auf jeden Fall zum Diskurs in Deutschland“dazu. Mit Sarrazin sprechen wird Walter Bauer-wabnegg,
Präsident der Uni Erfurt. Der Medienwissenschaftler habe „stets eine politisch-ästhetische Ebene“.
Durch eine momentane politische Überhitzung sei es ja ohnehin schwierig geworden, klar zu reden, findet Peter Krause. Genau das müsse man aber dennoch versuchen.
Unter anderem tut er es mit Peter Sloterdijk, Martin Mosebach oder Antje Vollmer und Heimo Schwilk, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln Glaubens- und Religionsfragen beleuchten. Thea Dorn redet mit Alexander Kissler („Cicero“) über „Luther Peter Krause, Schlossdirektor & Festivalmacher
und die Angst“, Rüdiger Safranski mit Sebastian Kleinschmidt über „Das Zeitalter, das keine Zeit hat“.
Drei Lesungen richtet der Schlossdirektor als Festivalproduktionen selbst ein: Rilkes Briefwechsels mit seiner geliebten Freundin Claire Goll, aus dem Dietmar Bär und Petra Schmidt-schaller vortragen, oder Richy Müllers Auftritt mit Isaak Babels Erzählband „Die Reiterarmee“. Zusammen mit Pianist Daniel Heide vom „Lyrischen Salon“bringt er zudem „Die Weise von Liebe und Tod des Cornet Christoph Rilke“heraus: in der Vertonung, die Viktor Ullmann im KZ Theresienstadt schrieb, bevor er bald darauf in Auschwitz umkam. Christian Brückner ist als Sprecher dabei. Derart subtil bezieht man sich in Ettersburg einmal mehr auch auf den Ettersberg.
In den Clubkonzerten treten unterdessen Schauspieler Christian Friedel mit seiner Popband Woods of Birnam oder das italienische Poptrio Ganes auf, außerdem die Schweizer Avantgarde-jazzer von „Hildegard Lernt Fliegen“, bevor sie Anfang August in der Kulturarena auf die Jenaer Philharmonie treffen werden.
„Durch eine momentane politische Überhitzung ist es ja ohnehin schwierig geworden, klar zu reden. Aber genau das muss man dennoch versuchen.“
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Informationen im Internet: www.schlossettersburg.de. Karten unter () oder info@schlossettersburg.de.