Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Die Zeitalter im Salon

Pfingstfes­tival Schloss Ettersburg denkt vom 27. Mai bis 11. Juni über unsere Gesellscha­ft nach, bietet viel Musik und auch Literatur

- Von Michael Helbing

Ettersburg.

Sophie Zelami zum Beispiel. Die schwedisch­e Sängerin, ein Star der musikalisc­hen Traurigkei­t, macht auf ihrer Tournee zum zwölften Album genau dreimal Station in Deutschlan­d: Hamburg, Berlin – und Ettersburg. Ihr hiesiges „My Song“-konzert ist längst ausverkauf­t.

Das gilt ebenso für Friend’n Fellow, gleichsam so etwas wie die Hausband des Pfingstfes­tivals: Das Soulduo lädt sich diesmal Bobo In White Wooden Houses als Bühnenpart­ner seines Clubkonzer­tes ein.

Nun ist der Gewehrsaal, wichtigste­r Spielort auf Schloss Ettersburg, nicht sonderlich groß. 150 bis 200 Leute finden dort Platz, je nach Veranstalt­ung. Ein Club eben, wahlweise auch ein Salon, wo es klein und fein zugeht, bisweilen auch hoch her.

So wie es ein Weilchen dauert, von Weimar aus hinter den alten Hausberg der Stadt zu gelangen, und erst recht von Erfurt oder Jena aus, so war es jedoch auch ein längerer Weg, den historisch­en Kulturort zurück ins Leben und ins Gedächtnis zu rufen.

„Das Grundanlie­gen ist die Revitalisi­erung des Hauses“, beschreibt Schlossdir­ektor Peter Krause, was er im Auftrag des Bildungswe­rkes Bau Hessen-thüringen (als Investor und Pächter) zu tun hat. Das Wirtschaft­liche, wozu auch über 100 Hochzeitsf­este im Jahr gehören, der Bildungsau­ftrag als „Bauhaus-akademie“und das Kulturprog­ramm müssten dabei ineinander greifen, so Krause.

Im siebten Jahr des Pfingstfes­tivals, das er in diesem Zusammenha­ng erfand, sieht er sich auf dem richtigen Weg: mit einer Vielfalt unterhalte­nder Konzerte ebenso wie mit prominent besetzten Lesungen und Gesprächen. Dabei macht er erklärterm­aßen „kein Weimarer Festival“, wie er betont; allenfalls ein Drittel der Besucher kommt aus der nahen Stadt. Den Ruf aus Ettersburg hört man längst überregion­al, sowohl, was die Besucher betrifft (über 2000 von höchstens 3500 Festivalka­rten sind bereits verkauft worden) als auch die künstleris­chen und intellektu­ellen Protagonis­ten. „Es gibt überhaupt keine Probleme mehr, jemanden für Auftritte zu bekommen“, sagt Krause mit gewissem Stolz.

Rund ein Drittel der 30 Veranstalt­ungen pflegt in diesem Jahr den Diskurs. Inspiriert unter anderem durch die Jubiläen von Reformatio­n und Oktoberrev­olution, hat Krause die seiner Ansicht nach „spannendst­en Denker des Landes“versammelt, um auf diese oder jene Weise dem Begriff des Zeitalters nachzusinn­en.

Zu den Denkern zählt Krause Sahra Wagenknech­t, die er ausdrückli­ch nicht als Politikeri­n einlud. Sie bewege sich „immer auch auf einer durchaus metapoliti­schen Ebene“, findet er. Wagenknech­t diskutiert mit dem Berliner Historiker, Gewaltfors­cher und Stalinismu­sexperten Jörg Baberowski über die Oktoberrev­olution.

Das Gespräch ist ausgebucht. Krause denkt aufgrund der großen Nachfrage darüber nach, es nach draußen zu übertragen, in den Park. Denkbar hält er das auch für den Auftritt von Thilo Sarrazin, der vor ausverkauf­tem Saal über „Wunschpoli­tik“sprechen wird.

Sarrazin als einer der spannendst­en Denker des Landes? „Das glaube ich schon“, so Krause. Sein Buch „Wunschdenk­en“finde er zwar „ein bisschen schwierig“, doch gehöre er „auf jeden Fall zum Diskurs in Deutschlan­d“dazu. Mit Sarrazin sprechen wird Walter Bauer-wabnegg,

Präsident der Uni Erfurt. Der Medienwiss­enschaftle­r habe „stets eine politisch-ästhetisch­e Ebene“.

Durch eine momentane politische Überhitzun­g sei es ja ohnehin schwierig geworden, klar zu reden, findet Peter Krause. Genau das müsse man aber dennoch versuchen.

Unter anderem tut er es mit Peter Sloterdijk, Martin Mosebach oder Antje Vollmer und Heimo Schwilk, die aus unterschie­dlichen Blickwinke­ln Glaubens- und Religionsf­ragen beleuchten. Thea Dorn redet mit Alexander Kissler („Cicero“) über „Luther Peter Krause, Schlossdir­ektor & Festivalma­cher

und die Angst“, Rüdiger Safranski mit Sebastian Kleinschmi­dt über „Das Zeitalter, das keine Zeit hat“.

Drei Lesungen richtet der Schlossdir­ektor als Festivalpr­oduktionen selbst ein: Rilkes Briefwechs­els mit seiner geliebten Freundin Claire Goll, aus dem Dietmar Bär und Petra Schmidt-schaller vortragen, oder Richy Müllers Auftritt mit Isaak Babels Erzählband „Die Reiterarme­e“. Zusammen mit Pianist Daniel Heide vom „Lyrischen Salon“bringt er zudem „Die Weise von Liebe und Tod des Cornet Christoph Rilke“heraus: in der Vertonung, die Viktor Ullmann im KZ Theresiens­tadt schrieb, bevor er bald darauf in Auschwitz umkam. Christian Brückner ist als Sprecher dabei. Derart subtil bezieht man sich in Ettersburg einmal mehr auch auf den Ettersberg.

In den Clubkonzer­ten treten unterdesse­n Schauspiel­er Christian Friedel mit seiner Popband Woods of Birnam oder das italienisc­he Poptrio Ganes auf, außerdem die Schweizer Avantgarde-jazzer von „Hildegard Lernt Fliegen“, bevor sie Anfang August in der Kulturaren­a auf die Jenaer Philharmon­ie treffen werden.

„Durch eine momentane politische Überhitzun­g ist es ja ohnehin schwierig geworden, klar zu reden. Aber genau das muss man dennoch versuchen.“

Informatio­nen im Internet: www.schlossett­ersburg.de. Karten unter ()    oder info@schlossett­ersburg.de.

 ??  ?? Schauspiel­erin Petra Schmidt-schaller anno  auf Schloss Ettersburg, wo sie mit Vater Andreas beim Pfingstfes­tival auftrat. Nun kehrt sie mit ihrem Kollegen Dietmar Bär zurück. Beide lesen am . Juni aus dem Briefwechs­el Rainer Maria Rilkes mit...
Schauspiel­erin Petra Schmidt-schaller anno  auf Schloss Ettersburg, wo sie mit Vater Andreas beim Pfingstfes­tival auftrat. Nun kehrt sie mit ihrem Kollegen Dietmar Bär zurück. Beide lesen am . Juni aus dem Briefwechs­el Rainer Maria Rilkes mit...
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