Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Die Highlander vom Harz: Ein Kaninchenzüchter sattelt um
Petra und Helmut Scharfe aus Neustadt im Südharz züchten Schottische Hochlandrinder, längst nicht mehr nur wegen des Fleisches
Neustadt/harz.
Kaninchen hatte er, jahrelang. Sie vor und nach der Arbeit im Forst zu füttern, war längst zur Gewohnheit geworden, als Helmut Scharfe einen Schlussstrich zog. Neun Jahre ist das her.
Es war eine ökonomische Rechnung, es war ein Ins-verhältnis-setzen von Aufwand und Nutzen, das ihn einen Weg gehen ließ, der ihm eine Welt jenseits alles Materiellen erschloss: „Es ist beruhigend, hier zu sitzen“, sagt der 54-jährige großgewachsene Mann mit den wilden Locken am Weidezaun. Der Blick schweift über seine Herde schottischer Hochlandrinder: urtümlich aussehende Tiere mit ausladenden Hörnern und dichtem Fell, die Augen darunter kaum sichtbar.
2008 hatte Helmut Scharfe die erste tragende Kuh und eine Färse – ein einjähriges weibliches Tier – von einem Züchter in Gieboldehausen bei Göttingen gekauft. Denn er isst gern Fleisch, viel Fleisch. „Die Kaninchenzucht war vom Ertrag her recht gering“, formuliert es seine Frau Petra. Sie verhehlt nicht ihre anfängliche Skepsis gegenüber der Idee ihres Mannes, sich ein paar Kühe anzuschaffen. „Aber im Prinzip war für meinen Mann alles schon beschlossene Sache.“
Petra Scharfe, Altenpflegerin von Beruf, lächelt heute über ihre Skepsis. Längst steht sie wie ihr Mann selbstverständlich auf der Weide, inmitten der durchaus respekteinflößenden Tiere, kämmt ihnen das Fell. Beide haben ein gemeinsames Hobby gefunden, das 2012 ein Landwirtschaftsbetrieb im Nebenerwerb wurde, vor allem wegen der damit einhergehenden Möglichkeit, Fördermittel für die extensive Bewirtschaftung wertvoller, unter Naturschutz stehender Offenlandflächen zu bekommen. Dünger oder Pestizide einzusetzen, ist für die Scharfes seit jeher tabu.
23 Tiere gehören den Scharfes inzwischen: ein Zuchtbulle, acht Muttertiere, 16 Jungtiere. Zwei weitere sollen in den nächsten Tagen geboren werden auf der Wiese am Gangerfeld zwischen Neustadt und der Sägemühle bei Herrmannsacker. Nach dem Kalben, etwa im Mai, gehe es dann auf die großen Weiden oben im Harz, zwischen Hufhaus und Breitenstein.
Insgesamt 20 Hektar hat Helmut Scharfe gepachtet für die Hochlandrinder. Zu den Robustrindern gehörend, wachsen diese relativ langsam, sind dafür sehr genügsam. Selbst in harten Südharzer Wintern kommen sie dank ihres dichten Fells draußen zurecht. Auf der Weide genügt ein Unterstand.
Helmut Scharfe stattet seinen Tieren täglich einen Besuch ab, ob sie bei Neustadt stehen oder oben im Harz. Der Weidezaun muss kontrolliert werden, ebenso die Wasserstelle. Auch könnten Tiere verletzt sein.
Petra Scharfe erzählt von Pearl, die im Mai 2015 beim Mitteldeutschen Highlandchampionat zur „Schönsten Kuh Mitteldeutschlands“gekürt wurde. Das Jungtier war kurze Zeit später von Motocross-fahrern erschreckt worden, in Panik ausgebrochen. Zwischen zwei Bäumen riss es sich ein Horn ab. Ohne Zweifel: Die Scharfes sehen in ihren Tieren weit mehr als Fleischbringer – sie haben eine Zucht aufgebaut, weil sie das friedliche, genügsame Wesen der Highlander schätzen. „Die Tiere geben einem viel zurück“, sagt Petra Scharfe. „Wenn ich sie kämme, genießen sie das sehr.“Die Rinder sind an ihre Halter gewöhnt, lassen sich problemlos am Halfter führen. Nach dem Zeitaufwand gefragt, lächelt Helmut Scharfe: „Das dürfen Sie nicht schreiben.“
Längst sind die Tiere aus Neustadt auch bei anderen Züchtern begehrt, einige Tiere verkauften Scharfes schon an Gleichgesinnte. Und natürlich schmeckt ihnen auch das Fleisch der Hochlandrinder: „Es ist sehr feinfaserig. Und es ist sehr gesund, weil es cholesterin- und fettarm ist, zudem sehr geschmacksintensiv“, schwärmt Petra Scharfe.
Fleisch essen zu können von Tieren, die ein gutes Leben hatten, bewog sie vor Jahren, Ja zu den Hochlandrindern zu sagen. Für 5 oder 6 Euro das Kilo Rind an der Theke kaufen zu können, lasse doch zwangsläufig die Frage aufkommen, wie die Tiere gehalten wurden.
Mit ihrem Mann führt sie den Gegenentwurf zur Fleischindustrie, ihr Betrieb ist seit 2012 biozertifiziert. In Harzungen schlachten die Scharfes aber nur für den Eigenverbrauch. Sie haben jedoch die Absicht, in absehbarer Zeit eine eigene Vermarktung des Fleisches aufzubauen. Dazu bedarf es unter anderem einer Bioschlachterei im Landkreis Nordhausen.