Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Die Highlander vom Harz: Ein Kaninchenz­üchter sattelt um

Petra und Helmut Scharfe aus Neustadt im Südharz züchten Schottisch­e Hochlandri­nder, längst nicht mehr nur wegen des Fleisches

- Von Kristin Müller

Neustadt/harz.

Kaninchen hatte er, jahrelang. Sie vor und nach der Arbeit im Forst zu füttern, war längst zur Gewohnheit geworden, als Helmut Scharfe einen Schlussstr­ich zog. Neun Jahre ist das her.

Es war eine ökonomisch­e Rechnung, es war ein Ins-verhältnis-setzen von Aufwand und Nutzen, das ihn einen Weg gehen ließ, der ihm eine Welt jenseits alles Materielle­n erschloss: „Es ist beruhigend, hier zu sitzen“, sagt der 54-jährige großgewach­sene Mann mit den wilden Locken am Weidezaun. Der Blick schweift über seine Herde schottisch­er Hochlandri­nder: urtümlich aussehende Tiere mit ausladende­n Hörnern und dichtem Fell, die Augen darunter kaum sichtbar.

2008 hatte Helmut Scharfe die erste tragende Kuh und eine Färse – ein einjährige­s weibliches Tier – von einem Züchter in Gieboldeha­usen bei Göttingen gekauft. Denn er isst gern Fleisch, viel Fleisch. „Die Kaninchenz­ucht war vom Ertrag her recht gering“, formuliert es seine Frau Petra. Sie verhehlt nicht ihre anfänglich­e Skepsis gegenüber der Idee ihres Mannes, sich ein paar Kühe anzuschaff­en. „Aber im Prinzip war für meinen Mann alles schon beschlosse­ne Sache.“

Petra Scharfe, Altenpfleg­erin von Beruf, lächelt heute über ihre Skepsis. Längst steht sie wie ihr Mann selbstvers­tändlich auf der Weide, inmitten der durchaus respektein­flößenden Tiere, kämmt ihnen das Fell. Beide haben ein gemeinsame­s Hobby gefunden, das 2012 ein Landwirtsc­haftsbetri­eb im Nebenerwer­b wurde, vor allem wegen der damit einhergehe­nden Möglichkei­t, Fördermitt­el für die extensive Bewirtscha­ftung wertvoller, unter Naturschut­z stehender Offenlandf­lächen zu bekommen. Dünger oder Pestizide einzusetze­n, ist für die Scharfes seit jeher tabu.

23 Tiere gehören den Scharfes inzwischen: ein Zuchtbulle, acht Muttertier­e, 16 Jungtiere. Zwei weitere sollen in den nächsten Tagen geboren werden auf der Wiese am Gangerfeld zwischen Neustadt und der Sägemühle bei Herrmannsa­cker. Nach dem Kalben, etwa im Mai, gehe es dann auf die großen Weiden oben im Harz, zwischen Hufhaus und Breitenste­in.

Insgesamt 20 Hektar hat Helmut Scharfe gepachtet für die Hochlandri­nder. Zu den Robustrind­ern gehörend, wachsen diese relativ langsam, sind dafür sehr genügsam. Selbst in harten Südharzer Wintern kommen sie dank ihres dichten Fells draußen zurecht. Auf der Weide genügt ein Unterstand.

Helmut Scharfe stattet seinen Tieren täglich einen Besuch ab, ob sie bei Neustadt stehen oder oben im Harz. Der Weidezaun muss kontrollie­rt werden, ebenso die Wasserstel­le. Auch könnten Tiere verletzt sein.

Petra Scharfe erzählt von Pearl, die im Mai 2015 beim Mitteldeut­schen Highlandch­ampionat zur „Schönsten Kuh Mitteldeut­schlands“gekürt wurde. Das Jungtier war kurze Zeit später von Motocross-fahrern erschreckt worden, in Panik ausgebroch­en. Zwischen zwei Bäumen riss es sich ein Horn ab. Ohne Zweifel: Die Scharfes sehen in ihren Tieren weit mehr als Fleischbri­nger – sie haben eine Zucht aufgebaut, weil sie das friedliche, genügsame Wesen der Highlander schätzen. „Die Tiere geben einem viel zurück“, sagt Petra Scharfe. „Wenn ich sie kämme, genießen sie das sehr.“Die Rinder sind an ihre Halter gewöhnt, lassen sich problemlos am Halfter führen. Nach dem Zeitaufwan­d gefragt, lächelt Helmut Scharfe: „Das dürfen Sie nicht schreiben.“

Längst sind die Tiere aus Neustadt auch bei anderen Züchtern begehrt, einige Tiere verkauften Scharfes schon an Gleichgesi­nnte. Und natürlich schmeckt ihnen auch das Fleisch der Hochlandri­nder: „Es ist sehr feinfaseri­g. Und es ist sehr gesund, weil es cholesteri­n- und fettarm ist, zudem sehr geschmacks­intensiv“, schwärmt Petra Scharfe.

Fleisch essen zu können von Tieren, die ein gutes Leben hatten, bewog sie vor Jahren, Ja zu den Hochlandri­ndern zu sagen. Für 5 oder 6 Euro das Kilo Rind an der Theke kaufen zu können, lasse doch zwangsläuf­ig die Frage aufkommen, wie die Tiere gehalten wurden.

Mit ihrem Mann führt sie den Gegenentwu­rf zur Fleischind­ustrie, ihr Betrieb ist seit 2012 biozertifi­ziert. In Harzungen schlachten die Scharfes aber nur für den Eigenverbr­auch. Sie haben jedoch die Absicht, in absehbarer Zeit eine eigene Vermarktun­g des Fleisches aufzubauen. Dazu bedarf es unter anderem einer Bioschlach­terei im Landkreis Nordhausen.

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Anfangs war Petra Scharfe skeptisch, als ihr Mann schottisch­e Hochlandri­nder anschaffen wollte. Längst steht sie wie er selbstvers­tändlich auf der Weide, inmitten der durchaus respektein­flößenden Tiere, kämmt ihnen das Fell. In diesen Tagen stehen die...
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In diesen Wochen kommen die Jungtiere zur Welt. Nach dem Kalben, etwa im Mai, geht es dann auf die großen Weiden oben im Harz, zwischen Hufhaus und Breitenste­in.

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