Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Schlafen im Auto und Spazierengehen nur unter Schutzfolie
Menschen mit Elektrohypersensibilität kämpfen mit ihrer Krankheit und mit vielen Vorurteilen
Ilm-kreis.
Es gibt Menschen, die können nicht ohne Handy oder Tablet-computer. Und es gibt Menschen, die können nicht mit. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können.
Paul und Paula* leiden unter Elektrohypersensibilität – also Elektrosensibilität im Quadrat. Frei übersetzt: Beider Körper reagieren auf jegliche Art von Funkwellen der drahtlosen Kommunikation überempfindlich. Paul und Paula leben im Ilm-kreis – besser gesagt: in ihrem Auto. Dort schlafen sie, wenn W-lan-netze oder Handys in der Nachbarschaft benutzt werden. Den Wagen schützen sie mit einer speziellen Decke, die Funkwellen absorbiert. Denn diese Strahlung macht sie krank – Paula bewegt sich in der Öffentlichkeit nur mit einer speziellen Schutzfolie – man wisse ja nie, wer gerade sein Handy zückt.
Selbst einkaufen wird da zum Problem. Und sich mal eben in ein Straßencafé zu setzen, das geht gar nicht. Die Symptome – Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Herzrhythmus- und Schlafstörungen – sind vielfältig, die Auswirkungen enorm, „das geht bis hin zur Lebensgefahr“, sagt Paula. Sie sind wegen ihrer Elektrohypersensibilität berufsunfähig beziehungsweise „berentet“.
In Schweden und Spanien ist die Elektrohypersensibilität als Behinderung anerkannt. Das Europaparlament rief schon 2009 alle Mitgliedsstaaten auf, diesem Beispiel zu folgen, die europäische Umweltagentur stufte Mobiltelefonie letztes Jahr sogar als Risikotechnologie ein. In Deutschland tut man sich damit noch schwer, Paul nennt das „erfolgreiche Lobbyarbeit der Mobilfunkkonzerne“. Zahlen schwirren durch den Raum – je nach Gutachten geht man von unter sechs bis über neun Prozent der Deutschen aus, die unter Elektrosensibilität leiden.
Die Menschen seien schlecht informiert, welche Gefahren von der drahtlosen Kommunikation ausgehen, und sie belächeln die, die massiv darunter leiden, sagen beide. Ärzte haben ihre Krankheit diagnostiziert, nun müssen sie damit leben. Das geht im Ilm-kreis noch, „weil es hier weniger Funkwellen als anderswo in der Republik gibt“.
Eines ist den beiden wichtig: Sie wollen Handys, Laptops, W-lan und Tablets nicht verteufeln, sie wollen die Leute nicht bekehren – sie wollen für das Thema und ihre Krankheit sensibilisieren und im günstigsten Fall etwas Rücksichtnahme. Ins Internet kann man zu Hause auch ohne W-lan, es gibt schnurlose Telefone mit Ecomodus. Und sie wollen weg aus der Ecke, dass „wir Spinner oder Hypochonder sind“.
*Namen geändert