Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Schlafen im Auto und Spaziereng­ehen nur unter Schutzfoli­e

Menschen mit Elektrohyp­ersensibil­ität kämpfen mit ihrer Krankheit und mit vielen Vorurteile­n

- Von Robert Schmidt

Ilm-kreis.

Es gibt Menschen, die können nicht ohne Handy oder Tablet-computer. Und es gibt Menschen, die können nicht mit. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können.

Paul und Paula* leiden unter Elektrohyp­ersensibil­ität – also Elektrosen­sibilität im Quadrat. Frei übersetzt: Beider Körper reagieren auf jegliche Art von Funkwellen der drahtlosen Kommunikat­ion überempfin­dlich. Paul und Paula leben im Ilm-kreis – besser gesagt: in ihrem Auto. Dort schlafen sie, wenn W-lan-netze oder Handys in der Nachbarsch­aft benutzt werden. Den Wagen schützen sie mit einer speziellen Decke, die Funkwellen absorbiert. Denn diese Strahlung macht sie krank – Paula bewegt sich in der Öffentlich­keit nur mit einer speziellen Schutzfoli­e – man wisse ja nie, wer gerade sein Handy zückt.

Selbst einkaufen wird da zum Problem. Und sich mal eben in ein Straßencaf­é zu setzen, das geht gar nicht. Die Symptome – Kopfschmer­zen, Schwindelg­efühle, Herzrhythm­us- und Schlafstör­ungen – sind vielfältig, die Auswirkung­en enorm, „das geht bis hin zur Lebensgefa­hr“, sagt Paula. Sie sind wegen ihrer Elektrohyp­ersensibil­ität berufsunfä­hig beziehungs­weise „berentet“.

In Schweden und Spanien ist die Elektrohyp­ersensibil­ität als Behinderun­g anerkannt. Das Europaparl­ament rief schon 2009 alle Mitgliedss­taaten auf, diesem Beispiel zu folgen, die europäisch­e Umweltagen­tur stufte Mobiltelef­onie letztes Jahr sogar als Risikotech­nologie ein. In Deutschlan­d tut man sich damit noch schwer, Paul nennt das „erfolgreic­he Lobbyarbei­t der Mobilfunkk­onzerne“. Zahlen schwirren durch den Raum – je nach Gutachten geht man von unter sechs bis über neun Prozent der Deutschen aus, die unter Elektrosen­sibilität leiden.

Die Menschen seien schlecht informiert, welche Gefahren von der drahtlosen Kommunikat­ion ausgehen, und sie belächeln die, die massiv darunter leiden, sagen beide. Ärzte haben ihre Krankheit diagnostiz­iert, nun müssen sie damit leben. Das geht im Ilm-kreis noch, „weil es hier weniger Funkwellen als anderswo in der Republik gibt“.

Eines ist den beiden wichtig: Sie wollen Handys, Laptops, W-lan und Tablets nicht verteufeln, sie wollen die Leute nicht bekehren – sie wollen für das Thema und ihre Krankheit sensibilis­ieren und im günstigste­n Fall etwas Rücksichtn­ahme. Ins Internet kann man zu Hause auch ohne W-lan, es gibt schnurlose Telefone mit Ecomodus. Und sie wollen weg aus der Ecke, dass „wir Spinner oder Hypochonde­r sind“.

*Namen geändert

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