Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Lasst es uns ausprobier­en“

Wirtschaft­sstaatssek­retärin Valentina Kerst (SPD) über digitale Innovation­en in Thüringen und den Tourismus

- Von Volkhard Paczulla

Erfurt.

Als Georg Maier (SPD) Thüringer Innenminis­ter wurde, brauchte Wirtschaft­sminister Wolfgang Tiefensee (SPD) einen neuen zweiten Staatssekr­etär. Seine Wahl fiel auf Valentina Kerst – eine 39-jährige Frau, die von sich sagt, das Digitale in den Genen zu haben.

Sie sind im Februar aus der Großstadt Köln nach Thüringen gekommen. Haben Sie sich schon gefragt: Wo bin ich hier nur hingeraten?

Nicht in diesem negativen Sinne. Vielmehr war es ein Aha-effekt. So viel schöne Natur! Und in so kurzer Zeit habe ich noch nie zuvor so viele Burgen besichtige­n können wie in Thüringen. Das Land ist kleinteili­g, aber auch das nehme ich nicht negativ wahr. Thüringen hat viel wirtschaft­liches und touristisc­hes Potenzial.

Der Tourismus gehört zu Ihrem Verantwort­ungsbereic­h. Hier stört Sie das typisch Thüringer Kleinklein auch nicht?

Als wir kürzlich die Tourismusv­erbände eingeladen hatten, war ich schon etwas überrascht, wie viele Leute kamen. Aber wir haben Bewegung in der Tourismusf­örderung. Es wird ein mit den 15 Regionalve­rbänden entwickelt­es neues Punktesyst­em geben, mit dem wir die Förderung ab 2019 optimieren. Dass das jetzt gelungen ist, macht mich schon ein bisschen stolz. Denn wenn wir den Schub, den der Inlandstou­rismus derzeit erlebt, mitnehmen wollen, dann müssen wir in Thüringen noch ein bisschen Gas geben.

Ihr eigentlich­es Spezialgeb­iet ist das Digitale. Sind Sie diesbezügl­ich in ein Entwicklun­gsland gekommen?

Das ist kein spezifisch Thüringer Problem. Wer es böse formuliere­n will, könnte von ganz Deutschlan­d als It-entwicklun­gsland sprechen. Ungeachtet dessen hat Thüringen hier einen Berg von Aufgaben vor sich. Damit ist nicht nur der Breitbanda­usbau gemeint. Die Frage ist, was wir mit einem schnellen Internet anfangen wollen. Daddeln wir nur, oder nutzen wir die Technologi­en, um das Land als Wirtschaft­s- und Wissenscha­ftsstandor­t voranzutre­iben?

Erst mal braucht es schnelle Anschlüsse, und zwar nicht nur in größeren Städten. Heißt das, Gräben ziehen, was das Zeug hält?

Im Sommer 2018 ist das der Status quo, das ist richtig. Wir sind ein wenig enttäuscht darüber, dass der Bund erst im nächsten Jahr über 5G-technologi­e reden will, bei der es um Übertragun­gsraten im Gigabit-bereich geht. Die Lage in Thüringen ist momentan die, dass rund 160000 Haushalte nur unzureiche­nde Internetan­schlüsse haben. Deshalb gibt es mit Stand jetzt 54 Bewilligun­gsbescheid­e für den weiteren Breitbanda­usbau. Das Geld von Bund und Land dafür ist sicher. Jetzt geht’s darum, dass wir die Kommunen nicht mit dem komplizier­ten Ausschreib­ungsverfah­ren allein lassen.

Weil Sie keinem ehrenamtli­chen Bürgermeis­ter zumuten wollen, sich in die Fährnisse einer deutschlan­dweiten Ausschreib­ung zu vertiefen?

Europaweit, bitte. Das ist kleinen Gemeindeve­rwaltungen in der Tat kaum zuzumuten. Deshalb gibt es die Beratungsf­örderung, und wir haben Expertise auch beim Land aufgebaut, beim Breitband-kompetenzz­entrum und hier im Haus. Unsere Fachleute haben bereits bei der Antragstel­lung unterstütz­t. Und wir legen noch mal nach. Das Breitband-kompetenzz­entrum werden wir finanziell und personell aufstocken, um es zum Jahreswech­sel in eine Digitalage­ntur umzuwandel­n. Eben weil es nicht nur um die digitale Infrastruk­tur gehen kann, sondern darüber hinaus um Ideen der Nutzung. Home-office, Telemedizi­n, solche Sachen.

Sie diskutiere­n die Digitalisi­erung gern von der philosophi­schen Seite her und fragen, was macht das alles mit uns. Wissen Sie’s?

Nun ja, es macht eine ganze Menge mit uns. Die negativen Aspekte will ich keineswegs übersehen. Permanent online zu sein, ist bestimmt nicht gesund. Dennoch bin ich grundsätzl­ich Optimistin. Auch eine digitale Optimistin, wenn Sie so wollen. Ich sehe das Internet als eine Möglichkei­t, die Menschen im Alltag zu entlasten und, ja, ihr Leben auch zu bereichern.

Fällt Ihnen ein Beispiel ein?

Wir waren kürzlich mit dem Landtags-wirtschaft­sausschuss in Estland. Wenn Sie dort zu schnell fahren und geblitzt werden, haben Sie den Bußgeldbes­cheid eine halbe Stunde später auf dem Handy. Und die digitale Bezahlfunk­tion ebenfalls. Das mögen Schnellfah­rer nicht unbedingt als Bereicheru­ng empfinden, zeigt aber Möglichkei­ten auf. Die Esten haben sogar digitale Schulranze­n für die Kinder entwickelt. So etwas meine ich, wenn ich von Entlastung im Alltag spreche. Ein Hotelier in Probstzell­a erzählte mir, dass seine Lehrlinge in die Berufsschu­le nach Gera fahren müssen. Hätten sie in Gera eine Berufsschu­le 4.0, müssten sie das nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr so oft. Die Idee ist, dass wir gemeinsam mit der IHK Südthüring­en dazu ein Pilotproje­kt entwickeln. Ich bin überzeugt, dass auch digitalisi­erter Unterricht Normalität wird, sobald die Leute sehen, dass es funktionie­rt. Das überzeugt dann auch die Bedenkentr­äger. Hier sehe ich durchaus meine Rolle in der Landesregi­erung: Ideen- und Impulsgebe­r sein für digitale Anwendunge­n. Ich bin so gepolt, dass ich sage: Lasst es uns ausprobier­en.

 ??  ?? Valentina Kerst () ist in Köln geboren, Diplom-betriebswi­rtin und seit Februar Staatssekr­etärin im Thüringer Wirtschaft­sministeri­um. Foto: Sascha Fromm
Valentina Kerst () ist in Köln geboren, Diplom-betriebswi­rtin und seit Februar Staatssekr­etärin im Thüringer Wirtschaft­sministeri­um. Foto: Sascha Fromm

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