Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Wann Online-spielen zur Sucht wird
Die WHO rechnet die Abhängigkeit von Videospielen ab heute zu den anerkannten Krankheiten. Experten sind skeptisch
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(Alle Angaben ohne Gewähr) Genf.
Es sind schon Leute nach stundenlangem Computerspielen tot umgefallen. Ein 24-Jähriger in Shanghai 2015 etwa, der 19 Stunden bei „World of Warcraft“online war, oder 2012 ein Teenager in Taiwan, der 40 Stunden ohne Unterbrechung „Diablo 3“gespielt hatte. Anfang letzten Jahres starb ein 35Jähriger in Virginia Beach in den USA bei einem „World of Tanks“-marathon.
Solche Extremfälle sind selten. Aber Ärzte schlagen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm, weil sie immer öfter spielsüchtige Patienten sehen. Deshalb führt die WHO jetzt Onlinespielsucht als eigene Krankheit ein. Sie wird Teil der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“(ICD-11) sein, deren elfte Auflage heute erscheint. Dieser Katalog dient unter anderem als Basis zur Identifikation neuer Gesundheitstrends, Ärzte nutzen ihn als Anhaltspunkt bei der Diagnose verschiedener Krankheiten. Länder rund um den Globus orientieren sich am ICD, um staatliche Gesundheitsprogramme aufzulegen oder bestimmte Entwicklungen zu beobachten.
Die Entscheidung, Onlinespielesucht trotz der vergleichsweise geringen Zahl an Betroffenen in den Krankheiten-katalog aufzunehmen, ist umstritten. Manche Mediziner und Wissenschaftler reagierten skeptisch – oder auch spöttisch.
Wer beim Spielen schon mal etwas anderes habe schleifen lassen – Hausputz, Aufräumen oder andere lästige Arbeit – müsse dringend zum Arzt, ätzte der Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt sarkastisch, als die Pläne der WHO vor einem Jahr ans Licht kamen. „Sie könnten ernsthaft krank sein! (...) Den umtriebigen Blogger von nebenan sollten Sie vorsorglich auch melden, damit er zwangseingewiesen wird.“
Viel Online-spielen als Sucht zu definieren, könne zum Dammbruch werden, warnt Quandt: „Von Handy-sucht bis Social-media-depression wäre vieles als eigenständige ‚Medien‘-krankheit denkbar. In der Folge wären zahlreiche Kinder, Jugendliche und Erwachsene qua Definition von heute auf morgen therapiebedürftig.“
Der Psychologe Andy Przybylski von der Universität Oxford warnte mit rund 30 Kollegen in einem offenen Brief vor dem Who-schritt. „Es besteht das Risiko, dass solche Diagnosen missbraucht werden“, schrieben sie. Geprüft werden müsse, ob bei exzessiv spielenden Patienten nicht eher zugrunde liegende Probleme wie Depression oder soziale Angststörungen behandelt werden müssten.
Vladimir Poznyak vom Who-programm Suchtmittelmissbrauch sieht das ganz anders. „Es gibt klare Grenzen zwischen normalem Spielen und Spielsucht“, sagt er. Im ICD-11 werden drei Kriterien genannt: entgleitende Kontrolle etwa bei Häufigkeit und Dauer des Spielens, wachsende Priorität des Spielens vor anderen Aktivitäten und Weitermachen auch bei negativen Konsequenzen.
„Spielsüchtig ist jemand, der Freunde und Familie vernachlässigt, der keinen normalen Schlafrhythmus mehr hat, sich wegen des ständigen Spielens schlecht ernährt oder sportliche Aktivitäten sausen lässt“, sagt er. Dem Spieler mache es auch keinen Spaß mehr, aber er komme nicht davon los. „Ein Teufelskreis“, sagt Poznyak. „Es betrifft vor allem junge Menschen.“
„Wir finden es problematisch, wenn das Spielen pathologisiert und die Spieler stigmatisiert werden“, sagt der Geschäftsführer des Verbands game, Felix Falk. Der Verband deckt nach seinen Angaben mit rund 200 Mitgliedern wie Entwicklern und Grafikern mehr als 90 Prozent der deutschen Gamesbranche ab. „Einige wenige Menschen spielen exzessiv und das ist problematisch“, räumt er ein. Hilfestellung könne der Elternratgeber der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) geben. „Für Kinder und Jugendliche ist je nach Alter eine Begrenzung von 20 bis 120 Minuten am Tag sicher sinnvoll“, sagt Falk.
34,1 Millionen Deutsche nutzen Computerspiele
Nach Angaben von Falk gibt es auch Hersteller, die selbst schon gegen exzessives Spielen vorgehen, indem etwa Spielfiguren nach einer bestimmten Zeit ermüden und Aktionen sich automatisch verlangsamen oder mit fortschreitender Spielzeit immer weniger Belohnungen erspielt werden können.
Nach einer Erhebung des Verbands spielen in Deutschland 34,1 Millionen Menschen Computerund Videospiele, 46 Prozent der Bevölkerung. 14,3 Millionen seien unter 30 Jahre alt. Auf unter ein Prozent schätzt Falk den Anteil der Leute, die exzessiv spielen.
Die Branche habe seit den 1990er-jahren gelitten, weil Computerspiele etwa für Amokläufe verantwortlich gemacht worden seien, sagt Falk. „In der Folge werden heute nur rund sechs Prozent des Umsatzes von über zwei Milliarden Euro in Deutschland mit deutschen Spielen gemacht.“2017 wuchs der Markt für Computer- und Videospiele sowie Hardware um 15 Prozent auf mehr als 3,3 Milliarden Euro. Montag bis Freitag -Uhr -Uhr
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