Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Schweiz überrascht Brasilien
Hoffenheims Steven Zuber sorgt für ein 1:1 gegen den fünfmaligen Weltmeister. Neymar ohne große Wirkung
Rostow am Don.
Noch einmal wuschelte sich Neymar da Silva Santos Júnior – oder schlicht und einfach Neymar – durch seine blondierten Haare, ehe der Star der brasilianischen Seleção am späten Sonntagabend in den Katakomben der Rostow-arena verschwand. Lediglich 1:1 hatten er und seine Kollegen gegen die Schweiz gespielt, was wohl auch daran lag, dass Neymar nicht so wirkungsvoll war wie vor seiner Verletzung. „So ist eine WM. Auftaktspiele sind immer schwierig, leider haben wir den Sieg nicht eingefahren. Jetzt müssen wir uns auf die nächsten beiden Spiele konzentrieren“, sagte Brasiliens Torschütze Coutinho.
Noch am Vorabend von Neymars erstem Pflichtspiel seit seinem Haarriss im Mittelfuß Ende Februar hatte Nationaltrainer Tite die Erwartungen gleichermaßen gebremst und angeheizt. Neymar sei noch nicht bei 100 Prozent, sagte der 57 Jahre alte Trainer.
Coutinho erzielt die Führung zum 1:0
Dreieinhalb Monate hatte ganz Brasilien um den Mittelfuß der Nation gezittert. Und der brasilianische Patient? Zeigte sich bei Facebook (mehr als 60 Millionen Follower) mit dem Daumen hoch, bei Instagram (mehr als 92 Millionen Follower) grinsend und versprühte auch via Twitter (mehr als 40 Millionen Follower) Optimismus pur.
In der Rostow-arena waren es dann immerhin 43 109 Follower, die schon früh Neymars Hackentrick Nummer eins (12.) und Hackentrick nur zwei (14.) beklatschten durften. Doch für den ersten Moment der Ekstase sorgte mit Philippe Coutinho ausgerechnet derjenige, der den Superstar der Seleção in dessen Verletzungszeit vertrat. Coutinhos Schuss aus 20 Metern küsste noch einmal kurz den rechten Innenpfosten, ehe die bereits zu diesem Zeitpunkt verdiente Führung perfekt war (20.).
Doch so hübsch das brasilianische „Joga bonito“der ersten Minuten auch anzuschauen war, so sehr stellte sich die Schweizer Bundesliga-auswahl auf das Spiel der Südamerikaner ein. Gleich acht Eidgenossen aus der Startelf sind oder waren in Deutschland beschäftigt. Und der auffälligste unter ihnen war nicht nur wegen seiner arg gewöhnungsbedürftigen Streifenhörnchen-frisur Ex-hamburger Valon Behrami.
Neymars Frisurenbruder im Geiste fand zunehmend daran Gefallen, als Zerstörer alter Schule den Schweizer Spielverderber zu mimen. Besonders Neymar entwickelte sich mehr und mehr zum Lieblingsopfer des robusten Schweiz-albaners. Der teuerste Spieler der Welt konnte kaum einen Zweikampf gegen den früheren Hsv-profi gewinnen. Doch für das eigene Spiel nach vorne sollte Behramis Lust am Kaputtmachen nicht wirklich helfen, wodurch es nach insgesamt 45 Lala-minuten bei der brasilianischen Eintore-führung blieb.
Wer nun aber dachte, dass Brasilien nach den Straucheln der Wm-topfavoriten (Spaniens Unentschieden, Argentiniens Remis und Deutschland Auftaktpleite) nun die eigenen Titelambitionen gleich von Anfang an unterstreichen werden würde, der sah sich getäuscht. Nach einem Eckball des früheren Münchners Xherdan Shaquiri stieg Hoffenheims Steven Zuber völlig unbedrängt im brasilianischen Fünfmeterraum am höchsten und köpfte mit der ersten Schweizer Chance überhaupt zum 1:1 ein.
Und Neymar? Versuchte weiterhin viel, gelang wenig – und durfte sich auch im zweiten Durchgang von der (ab und an über der Grenze des Erlaubten) Rüppelhaftigkeit Behramis überzeugen. Immerhin zwei Zauberpässe gönnte sich Brasiliens genesener Mittelfuß, aus denen aber genauso wenig ein Siegtreffer wie aus einem Kopfball entstehen wollte. Als Jesus ein Strafstoß verwehrt wurde, war klar, dass der Fußballgott an diesem Abend nicht mehr auf Seiten Brasiliens sein würde. Que surpresa! Welch Überraschung – es blieb beim 1:1.