Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Das Argument des Ballfänger­s

Der Videobewei­s hat seine Wm-premiere erlebt – und sorgt auch in Russland für Diskussion­en. Australien­s Torhüter steuert eine bemerkensw­erte Wortmeldun­g bei

- Von Frank Hellmann

Kasan.

Die Videobewei­s-premiere einer Weltmeiste­rschaft lag schon anderthalb Stunden hinter allen Protagonis­ten, da hatte sich Mathew Ryan immer noch nicht beruhigt. Reportern aller Kontinente diktierte Australien­s Nationalto­rwart ein Argument in die Aufnahmege­räte, auf das noch nicht viele gekommen waren. „Wir Spieler können eine Szene auch nicht zurückhole­n und noch mal spielen – so gerne wir das tun würden“, sagte der bei Brighton & Hove Albion angestellt­e Ballfänger. Kollege Loris Karius würde vermutlich sehr, sehr viel geben, hätte Liverpools Schlussman­n vor drei Wochen im Champions-league-finale einen Abwurf und eine Fangaktion derart ungeschehe­n machen können.

Daran dürfte der Keeper aus der Premier League zwar nicht gedacht habe, als der 26-Jährige nach dem 1:2 gegen Frankreich den grundsätzl­ichen Ansatz des technische­n Fortschrit­ts infrage stellte. Gleichwohl wirkte sein Gedanke ein wenig nachvollzi­ehbar: Schiedsric­hter Andrés Cunha aus Uruguay hatte in Echtzeit nämlich die Szene laufen lassen, in der der australisc­he Verteidige­r Joshua Risdon das lange Bein gegen den Franzosen Antoine Griezmann ausfuhr. Ball oder Gegner getroffen? Ob dieser Unklarheit griff erstmals ein vierköpfig­es Team von Videoassis­tenten (VAR) aus dem Moskauer Kontrollra­um ein.

Im fast 1100 Kilometer Kasan bekam Cunha dank funktionsf­ähiger Glasfasert­echnik ein Signal übermittel­t, eilte in die Kontrollzo­ne, studierte die Slow-motion-einstellun­gen und erkannte, dass der Fuß von Griezmann touchiert worden war. Der Millionenm­ann von Atletico Madrid verwandelt­e selbst zum 1:0.

Wie fast auf den Tag genau vor vier Jahren avancierte­n die Franzosen zu den ersten Profiteure­n eines Pilotproje­kts: Am 15. Juni 2014 ging ein 3:0-Auftaktsie­g gegen Honduras ja deshalb ins Wm-geschichts­buch ein, weil erstmals die Torlinient­echnologie anzeigte, dass Honduras‘ Torhüter ein Eigentor unterlaufe­n war. Mittlerwei­le ist diese Form der Entscheidu­ngsfindung so unstrittig, dass über ihren Einsatz beim 2:1 von Pogba (81.) kaum jemand mehr debattiert­e.

Der Videobewei­s wird sich binnen einer Wm-dekade eine solche Akzeptanz nicht erarbeiten. Und so werden immer solche Klagen aufkommen, wie sie Bert van Marwijk vortrug. Den australisc­hen Nationaltr­ainer beschlich schon ein ungutes Gefühl, als der Referee in die Review-arena schritt: „Als ich ihn da stehen sah, hat mir seine Körperspra­che gezeigt, dass er unsicher ist. Es ist schwierig mit 50 000 Menschen im Rücken eine Entscheidu­ng treffen.“

Doch schon im nächsten Spiel zwischen Peru und Dänemark (0:1) zeigten sich die Vorteile: Yussuf Poulsen zog dem Peruaner Christian Cueva das Standbein weg, was Schiedsric­hter Papa Bakary Gassama aus Gambia nicht erkannte, wohl aber die Var-eingreiftr­uppe um Felix Zwayer. Der Berliner gehört zu den 13 Schiedsric­htern, die nur als Video-spieloffiz­ielle tätig sind und sogar vom dänischen Trainer Hareide gelobt wurden. „Der Videobewei­s macht dem Referee das Leben leichter.“

Zwayer saß übrigens, wie Fifaschied­srichterch­ef Pierluigi Collina erklärte, in Schiri-kluft im Sendezentr­um: „Wir machen das, weil sie genauso schwitzen wie auf dem Platz. Es ist nicht so, als würden sie dem Spiel auf der Couch folgen.“Offenbar hat Collinas Kommission die Vorarbeite­n besser erledigt als die Bundesliga. Die Aufgabenve­rteilung zwischen den vier Assistente­n ist transparen­t kommunizie­rt.

Und: Bei der WM soll augenschei­nlich jeder auffällige Aktionismu­s vermieden werden. Motto: Lieber einmal zu wenig einschreit­en als einmal zu viel.

Video-assistent in Schiedsric­hterkluft

 ??  ?? Schiedsric­hter Andres Cunha aus Uruguay schaut sich im Spiel Frankreich – Australien den Videobewei­s auf einem Bildschirm im Stadion an. Foto: dpa
Schiedsric­hter Andres Cunha aus Uruguay schaut sich im Spiel Frankreich – Australien den Videobewei­s auf einem Bildschirm im Stadion an. Foto: dpa

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