Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Kampf um die letzten Bistros
Jedes Jahr machen in Frankreich Hunderte von traditionellen Läden dicht. Jetzt sollen sie Weltkulturerbe werden
Paris.
Genuss und Geselligkeit, dafür steht ein typisches Bistro. „Das hier ist so etwas wie mein zweites Zuhause“, meint Martin, der am langen Tresen seines Pariser Stammlokals lehnt, wo er gerade einen Café Crème getrunken und einen Blick auf die ausliegenden Tageszeitungen geworfen hat. Ein Ritual, dem der Optiker an jedem Werktag huldigt, bevor er sein Brillengeschäft nebenan öffnet.
In der Mittagspause wird Martin wieder da sein, „weil die Küche hier zwar einfach, aber gut und preiswert ist“. „Mein soziales Leben sind die Familie, der Freundeskreis und dieses Bistro.“Damit meint er das „Le Grand Comptoir“am Fuße von Montmartre, ist mittags und ab dem späteren Nachmittag stets rappelvoll.
Das Bistro läuft sehr gut – im Gegensatz zu vielen anderen in Paris oder in der Provinz, die in den letzten Jahren geschlossen haben. Ein Trend, der längst beängstigende Ausmaße ausnimmt: Zählte man vor einem halben Jahrhundert gut 200 000 Bistros in Frankreich, so sind es heute nur noch 28 000. Jahr für Jahr werfen mindestens weitere 500 Bistrobesitzer das Handtuch. Steigende Immobilienpreise und das strenge, im Januar 2008 eingeführte Rauchverbot in Restaurants und Cafés bescheren den Bistros kontinuierlich Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent.
Der nationale Gaststättenverband Synhorcat spricht angesichts dieses offenbar unaufhaltsamen Niedergangs sogar von einer „existentiellen Krise“. Eine Gruppe von Gastronomen und Tv-schauspielern hat daher nun beantragt, zumindest die Pariser Bistros als Institution in die Unesco-liste der Weltkulturgüter aufzunehmen. Ihre Begründung: Die zumeist kleinen Lokale müssten geschützt werden, weil sie familiäre Orte seien und für eine echte Volkskultur stünden. Als Beweis hierfür führt die Gruppe unter anderem die Reaktion der Pariser an, welche nach den islamistischen Terroranschlägen vom November 2015 auf die Terrassen der Cafés und Bistros strömten und sie zu einem „Symbol der Lebensart und der Freiheit“gemacht hätten.
Doch das eigentliche Problem ist ein anderes: Bistros kommen aus der Mode. Meist sind es nur noch die älteren Semester, die für den Umsatz sorgen. Aber für die jüngeren Generationen gilt das nicht mehr. Sie treffen sich bei Starbucks oder in Bars, die Cocktails und drahtloses Internet bieten.
Nicht die Traditionspflege, sondern eine „überlebensnotwendige Anpassung und Modernisierung“sei also das Gebot der Stunde, heißt es deswegen bei Synhorcat. Die Bistros müssten dem Zeitgeist folgen und dazu gehöre eine Änderung der Karte, des Dekors. Fragt sich nur, ob ein auf edel gequältes Bistro noch als ein solches durchgehen kann. Zweifel mögen da erlaubt sein.