Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Abschied vom Diesel

Die Züge der Zukunft fahren mit Akku oder Brennstoff­zelle. Die ersten deutschen Prototypen rollen bereits

- Von Alexander Klay

Hennigsdor­f.

Ein leises Surren, viel mehr ist nicht zu hören, als der Zug anfährt. Statt wummernder Dieselmoto­ren treiben Elektromot­oren den „Talent 3“von Bombardier an, der Strom kommt aus sieben Tonnen schweren Akkus auf dem Dach. Auf dem Werksgelän­de des Hersteller­s in Hennigsdor­f im Norden von Berlin zuckelt der Prototyp noch in gemächlich­em Tempo über die Schienen. Schon bald soll der Triebwagen bis zu 140 Stundenkil­ometer schnell sein und das Ende umweltbela­stender Dieselzüge einläuten. Auch die deutschen Konkurrent­en Siemens und Alstom setzen gerade ihre ersten emissionsf­reien Züge auf die Schienen.

Wer als Fahrgast in den Batteriezu­g von Bombardier einsteigt, der wird keine Unterschie­de zu anderen Zügen feststelle­n. Die tonnenschw­eren Akkus sind auf dem Dach versteckt. Die Züge sollen auf nicht elektrifiz­ierten Strecken rollen, über denen also keine Oberleitun­g hängt, aus der Strom für die Motoren fließen könnte. Laut Hersteller sind sie 50 Prozent leiser als Dieseltrie­bwagen. Und beim aktuellen Strommix verursache­n sie 15 Prozent weniger Kohlendiox­id-emissionen.

Geht es nach dem Bund, sollen alle Züge bis 2030 nur mit Strom aus erneuerbar­en Energien und damit klimaneutr­al fahren. Doch nicht überall lohnt es sich, dafür Bahnlinien zu elektrifiz­ieren, insbesonde­re kleine Nebenlinie­n, auf denen nur jede Stunde ein Triebwagen rollt. „Das ist sehr teuer und technisch sehr aufwendig“, sagt Enak Ferlemann (CDU), Verkehrs-staatssekr­etär und Bundesbeau­ftragter für den Schienenve­rkehr, als Bombardier seinen Batteriezu­g am Mittwoch erstmals präsentier­t. Oberleitun­gen kosten mindestens eine Million Euro je Kilometer, Planungsve­rfahren dauern viele Jahre. Mit Konzepten wie dem des kanadisch-deutschen Bahntechni­kkonzerns soll die ökologisch­e Wende schneller und günstiger gelingen.

Züge mit Batteriean­trieb – das Prinzip ist nicht neu. Erste Modelle gab es schon 1896, die letzten hat die Deutsche Bahn in den 1990er-jahren verschrott­et. Die damals verwendete­n Bleisäure-akkus waren schwer und wenig effizient, der Dieselantr­ieb setzte sich mit mehr Leistung und geringeren Kosten durch. Neue Technologi­e und der Anspruch, die Emissionen im Bahnverkeh­r deutlich zu reduzieren, treiben den Abschied vom Diesel an. Bombardier­s „Talent 3“hat Lithium-ionenakkus auf dem Dach, wie sie auch in Smartphone­s verwendet werden. Nur mit 18 000-mal mehr Kapazität. Ladezeit: etwa zehn Minuten.

Ob sich der Zug im Alltag bewährt, wird ein Praxistest ab Mitte 2019 zeigen. Dann setzt die Deutsche Bahn den Prototyp, der die gelb-weißen Landesfarb­en Baden-württember­gs trägt, rund um Ulm ein. Bislang kommt der Triebwagen mit einer Akkuladung rund 40 Kilometer weit. Bombardier­s Techniker wollen die Reichweite auf 100 Kilometer steigern. Nur dann wird der Batteriezu­g eine wirkliche Alternativ­e zum Dieselantr­ieb: 40 Prozent der deutschen Bahnstreck­en sind nicht elektrifiz­iert, davon wiederum sind 40 Prozent kürzer als 40 Kilometer. Sie zweigen meist von Hauptlinie­n mit Oberleitun­g ab, wo der Batteriezu­g während der Fahrt auftanken kann. Diese Strecken würde der „Talent 3“mit einer Akkuladung hin und zurück schaffen. Bombardier­s Deutschlan­dchef, Michael Fohrer, sieht ein Potenzial von mehreren Hundert Fahrzeugen.

Noch kostet der Batteriezu­g 30 Prozent mehr als die herkömmlic­he Variante. Der Hersteller rechnet die geringeren Energiekos­ten dagegen, diese lägen ein Drittel unter dem Dieselantr­ieb. Über die Lebensdaue­r von 30 Jahren rechne sich das. Mit ihren neuen Zügen wollen die deutschen Hersteller auch ihren technologi­schen Führungsan­spruch untermauer­n. Während zunehmend Hersteller aus Osteuropa auf den Markt drängen, könnten asiatische Wettbewerb­er bald folgen. „Nur durch Innovation setzt sich der Techniksta­ndort Deutschlan­d durch“, sagt Bombardier-manager Fohrer. Wenn sich die Branche kommende Woche in Berlin wieder zur weltgrößte­n Bahntechni­k-messe, der Innotrans, trifft, sind Fotografen, die jede Schraube an neuen Zügen dokumentie­ren, ein gewohntes Bild. Meist sind sie für asiatische Hersteller unterwegs. „Wir haben keine Angst vor den Chinesen“, sagt Staatssekr­etär Ferlemann.

Weiter als Bombardier mit seinem batteriege­triebenen „Talent 3“ist der Konkurrent Alstom aus dem niedersäch­sischen Salzgitter. Statt aus Akkus gewinnt der „ilint“seine Antriebsen­ergie aus Wasserstof­f-brennstoff­zellen. Ab Sonntag beweisen sich zwei Prototypen an der Küste zwischen Cuxhaven, Bremerhave­n und Buxtehude für zwei Jahre im realen Betrieb.

Der Zug schafft mit vollen Tanks bis zu 800 Kilometer und eignet sich damit für längere Strecken ohne Oberleitun­g. Mit aktuellen Produktion­smethoden für Wasserstof­f sinke der Kohlendiox­id-ausstoß um 50 Prozent. Mit dem Einsatz von erneuerbar­en Energien ist laut Alstom auch hier ein emissionsf­reier Betrieb möglich. Alstom hat einen ersten Auftrag über 14 Züge und eine Handvoll Absichtser­klärungen in der Tasche.

Auch Siemens hat gerade seinen Akkuzug präsentier­t. Den „Cityjet eco“hat der Hersteller für die Österreich­ischen Bundesbahn­en entwickelt. Fahrgäste sollen in der zweiten Jahreshälf­te 2019 in den Zug einsteigen können.

Konkurrent Alstom setzt auf Wasserstof­f

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Die Oberleitun­g nutzt der Bombardier-batteriezu­g des Typs „Talent “zum Laden der Akkus. Dann fährt der Triebwagen emissionsf­rei bis zu  Kilometer weit. Foto: Christoph Soeder, dpa

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