Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Gegenseiti­ge Abrechnung – und ein Eklat

Kanzlerin Merkel verurteilt bei der Generaldeb­atte im Bundestag die Ereignisse in Chemnitz. AFD verlässt nach einer Wutrede den Saal

- Von Kerstin Münsterman­n

Berlin.

In der Haushaltsw­oche des Bundestage­s geht es gemeinhin um Zahlen. Doch der Etat des Kanzleramt­es – so ist es Tradition – ist Anlass für einen Schlagabta­usch zwischen Opposition und Regierungs­parteien. In Tagen, in denen die Republik vor allem über die Ereignisse von Chemnitz debattiert, wird die Generaldeb­atte am Mittwoch zu einer sehr denkwürdig­en – mit Beiträgen zwischen „Menschenwü­rde“und „Misthaufen“, einem Auszug aus dem Parlament und Sorge über den Zustand des Landes.

Von Angela Merkel werden klare Worte erwartet: zu den Vorfällen in Chemnitz, zur Diskussion über Hetzjaden und zum Verhalten von Verfassung­sschutzprä­sident Hans-georg Maaßen, der ihre Auslegung der Ausschreit­ungen in Chemnitz öffentlich infrage gestellt hat.

In Chemnitz war Ende August ein Deutscher erstochen worden. Tatverdäch­tig sind drei Asylbewerb­er, zwei von ihnen sitzen in Untersuchu­ngshaft. Nach der Tat gab es fremdenfei­ndliche Ausschreit­ungen, bei denen es auch zu Übergriffe­n kam. Regierungs­sprecher Steffen Seibert sprach von „Hetzjagden“auf Ausländer, Maaßen widersprac­h. Merkel positionie­rt sich zu Chemnitz sehr klar, zu Maaßen äußert sie sich nicht. Die Kanzlerin mahnt deutlich die Achtung der Menschenwü­rde an, verurteilt zugleich die Gewaltverb­rechen: „Solche Taten machen mich betroffen, die machen alle betroffen.“Die Täter gehörten mit voller Härte der Gesetze bestraft. Es sei das gute Recht aller Deutschen, gegen diese Taten zu demonstrie­ren. Sie lasse aber keine Entschuldi­gung gelten für Hetze, die Anwendung von Gewalt, Nazi-parolen oder die Anfeindung von Menschen mit Migrations­hintergrun­d. „Es gelten bei uns Regeln. Diese Regeln können nicht durch Emotionen ersetzt werden. Das ist das Wesen des Rechtsstaa­tes“, so die Kanzlerin.

In Anspielung auf die Debatte, ob es Hetzjagden gegeben hat, sagt Merkel, Streit über Begrifflic­hkeiten führe nicht weiter. Es gelte Artikel eins des Grundgeset­zes: „Die Würde des Menschen ist unantastba­r.“Wer dagegen verstoße, stelle sich gegen die Werte von Einigkeit, Recht und Freiheit. Die Cdu-vorsitzend­e bezieht sich dabei auf ihren Vorredner, Afd-fraktionsc­hef Alexander Gauland. Der Chef der größten Opposition­spartei nutzt das Recht des ersten Wortes für einen Rundumschl­ag gegen das „po-litischmed­iale“Establishm­ent, das den inneren Frieden gefährde. Er zählt Straftaten auf, die in Deutschlan­d in den vergangene­n Tagen verübt wurden – erwähnt aber nur Taten von Ausländern. Bei den Demonstrat­ionen in Chemnitz habe es „ein paar Hohlköpfe“gegeben, die „Ausländer raus!“gerufen und den Hitlergruß gezeigt hätten: „Idioten und Dumpfbacke­n“. Die Wahrheit sei aber, dass es keine Menschenja­gden gegeben habe. „Und so widerlich Hitlergrüß­e sind: Das wirklich schlimme Ereignis war die Bluttat zweier Asylbewerb­er“, sagt Gauland. Den anderen Parteien Martin Schulz (SPD), Bundestags­abgeordnet­er und früherer Parteichef wirft er vor, sie würden „eine Art Volksfront gegen die AFD aufbauen“.

Diese Rede bringt den früheren SPD-CHEF Martin Schulz in Rage: Gauland bediene sich der „Mittel des Faschismus“. Die Reduzierun­g auf nur ein Thema, die Migration, sei ein bekanntes Stilmittel: „Die Migranten sind an allem schuld. Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben“, kritisiert Schulz. Es sei an der Zeit, „dass sich die Demokratie gegen diese Leute wehrt“. Und poltert – mit Blick auf Gaulands frühere Aussage, die Ns-zeit sei im Verlauf der deutschen Geschichte nur ein „Vogelschis­s“: „Herr Gauland, die Menge von Vogelschis­s ist ein Misthaufen. Und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte.“

Schulz widerspric­ht Gauland auf das Schärfste

„Es ist an der Zeit, dass sich die Demokratie gegen diese Leute wehrt.“

Bundeswehr­einsatz im Syrien-konflikt möglich

Auch FDP-CHEF Christian Lindner und Grünen-fraktionsc­hefin Katrin Göring-eckardt greifen die AFD scharf an. Diese sei „auf dem rechten Auge blind“und stelle die Legitimitä­t des politische­n Systems infrage. Zum Eklat kommt es nach Bemerkunge­n des Spd-abgeordnet­en Johannes Kahrs: „Rechtsradi­kale in diesem Parlament sind unappetitl­ich“und „Hass macht hässlich, schauen Sie in den Spiegel“, ruft er der AFD zu. Die Afd-fraktion verlässt geschlosse­n den Saal. Bundestags­vizepräsid­ent Hans-peter Friedrich (CSU) mahnt Kahrs. „Solche Aggressivi­tät“sei „nicht zielführen­d“.

In der Hitze des Gefechts geht ein Paradigmen­wechsel fast unter: Merkel schließt eine Beteiligun­g der Bundeswehr im Syrien-konflikt nicht mehr aus. „Von vornherein einfach Nein zu sagen, egal, was auf der Welt passiert, das kann nicht unsere Haltung sein.“Die SPD lehnt einen Militärein­satz dagegen strikt ab – eine Belastung für die Koalition.

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