Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Die Linke gegen Kramer
Nach einer Zeugenbefragung des Verfassungsschutzchefs im Landtag wird erneut die Auflösung seiner Behörde gefordert
Erfurt.
Die Konfrontation gestern im Nsu-ausschuss war absehbar. Das Gremium hatte Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, für eine Befragung geladen.
„Man muss kein Mittäter oder Sachverständiger sein, um festzustellen, dass es weitere Netzwerke gibt oder gegeben hat. Ich stelle in Thüringen bis heute fest, dass mir aktive Neonazis begegnen, die in der damaligen Zeit Verbindungen zum Trio hatten“, erklärte er im Juli nach den Urteilen im Münchner Nsuprozess. Diese Aussage sollte er vor dem Ausschuss präzisieren.
Stephan Kramer nennt einleitend Namen mehrerer Neonazis, die Ende der 90er-jahre im Thüringer Heimatschutz aktiv waren und es aus seiner Sicht bis heute in der Neonazi-szene sind. Auch in der Unterstützerszene für den im Nsu-prozess inzwischen wegen Beihilfe zum Mord verurteilten Ralf Wohlleben sieht er ein Netzwerk der rechtsextremen Szene. So sei bei mehreren Rechtsrock-konzerten für Wohlleben Geld gesammelt worden.
Weitere Netzwerke sieht er in der Gruppierung „Turonen/ Garde 20“, zudem gebe es Mitglieder der verbotenen Neonazivereine „Blood & Honour“und „Combat 18“in Thüringen.
Der Amtschef spricht auch davon, dass Ende der 90er-jahre im Umfeld der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“(NSU) im Thüringer Heimatschutz zwischen 150 und 200 Unterstützer aktiv gewesen seien. Bei dieser Aussage hakt die Linke-abgeordnete Katharina König-preuss nach. „Wer denn diese 150 bis 200 Personen genau sind?“
Er könne diese namentlich nicht aufzählen, erwidert Kramer. Das sei eine Zahl aus öffentlich zugängigen Quellen.
Sie kenne keine solche Zahl, kontert die Abgeordnete, die Obfrau der Linken im Ausschuss ist. Der Verfassungsschutzchef verweist auf Wikipedia. Der Ton wird merklich rauer. König-preuss hakt einem Verhör gleich erneut nach. Kramer reagiert in seinen Antworten zunehmend gereizter.
Die Linke-politikerin bezweifelt, ob für die 150 bis 200 Personen Unterstützungshandlungen des NSU nachzuweisen seien. Das Wortgefecht zieht sich hin. Stephan Kramer betont, dass die meisten von ihnen im Thüringer Heimatschutz – einem Neonazizusammenschluss – Mitte und Ende der 90er-jahre waren. Dort verkehrten auch die Nsu-mitglieder Beate Zschäpe sowie die verstorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Irgendwann wirft die Linkeabgeordnete dem Präsidenten vor, dass der Verfassungsschutz unsauber arbeite, sich auf „Kennverhältnisse“statt Fakten stütze. „Falls es noch irgendein Argument für die Abschaffung des Verfassungsschutzes bräuchte, hat Herr Kramer das nun geliefert“, erklärt später Katharina König-preuss.
Es sei nicht hinzunehmen, dass der Verfassungsschutz jedes Jahr mehrere Millionen Euro aus dem Landeshaushalt erhalte, Kramer sich bei seinen Angaben zu mutmaßlichen Nsu-unterstützern aber auf Wikipedia-wissen beziehe.
Als „absurd“weist die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) die Reaktion der Linkspartei zurück. Präsident Kramer habe mehrfach betont, erst im Dezember 2015 ernannt worden zu sein und sich daher für die Zeit davor auf Gespräche von Mitarbeitern und Akten. aber eben auch auf frei zugängliche Quellen zu beziehen.
Als „völlig haltlose Forderung“weist auch die CDU die Kritik zurück. „Vielmehr müsse der Verfassungsschutz personell in die Lage versetzt werden, Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen, erklärt Jörg Kellner (CDU).
Stephan Kramer machte unmissverständlich deutlich, dass sich seine Behörde vor allem mit aktuellen Vorgängen befasse. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Rechtsextremismus. Seit der Vorwoche wird aber auch geprüft, ob die Thüringer AFD ein Beobachtungsfall ist.