Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
„Wir stopfen an vielen Stellen Löcher“
Deutsche-bahn-vorstand Ronald Pofalla über Probleme im Güterverkehr, Verspätungen bei Fernzügen und den Brandbrief seines Chefs
Berlin.
Bei der Deutschen Bahn läuft es derzeit nicht rund – obwohl die Zahl der Fahrgäste steigt. Viele Verspätungen im Fernverkehr, rote Zahlen und steigende Schulden belasten den Staatskonzern. Gleichzeitig müssen Milliarden in das in Teilen marode Netz gesteckt werden. Infrastruktur-vorstand Ronald Pofalla erklärt, warum Ausgabensperre und Investitionen kein Widerspruch sind und was sich für die Kunden verbessern soll.
Herr Pofalla, als Vorstand für die Infrastruktur sind Sie auch maßgeblich für die Pünktlichkeit zuständig. Können Sie den Ärger der Fahrgäste verstehen, dass jeder vierte Zug verspätet sein Ziel erreicht?
Ronald Pofalla: Natürlich sind wir mit der Lage nicht zufrieden. Wobei wir auch täglich fast 23 000 Nahverkehrszüge in der ganzen Republik fahren und hier im Schnitt zu 95 Prozent pünktlich sind. Positiv ist: Wir haben die Verspätungen durch unsere täglich über 800 Baustellen im Netz in den Griff bekommen. Obwohl zehn Prozent mehr gebaut wurde, sind im ersten Halbjahr die hieraus resultierenden Verspätungen um zwölf Prozent zurückgegangen. Wir managen die Baustellen heute deutlich effizienter. Aber das heißt nicht, dass wir nicht noch besser werden müssen.
Im August waren 30,2 Prozent aller Fernzüge verspätet. Das war so schlecht wie zuletzt im August 2015. Wie wollen Sie das Pünktlichkeitsproblem lösen?
Durch Digitalisierung, eine bessere Steuerung der Baustellen und stabilere Fahrzeugtechnik.
Wie viel Prozent der Fernzüge müssen aus Ihrer Sicht pünktlich sein, also weniger als sechs Minuten Verspätung haben? Und wann ist es so weit?
Unser Ziel ist, die 80-Prozentmarke im Fernverkehr zu erreichen. Neben den Störungen in der Infrastruktur müssen wir auch die Probleme mit den Zügen in den Griff kriegen.
Ist die Infrastruktur der Bahn zu alt?
Die ersten Schnellfahrstrecken (wie Hannover–würzburg oder Mannheim–stuttgart) werden demnächst 30 Jahre alt. Da werden wir grundlegend erneuern müssen. Gleichzeitig haben Bund und Bahn die Mittel zu Erhalt und Ausbau der Schiene in den vergangenen Jahren deutlich aufgestockt. Wir bauen damit aber immer noch an Rückständen aus der Vergangenheit, stopfen an vielen Stellen sozusagen weiter Löcher. Das wird noch einige Zeit so weitergehen.
Konzernchef Richard Lutz hat gerade in einem Brandbrief an das Management gewarnt, dass der Verlust steigt, ebenso die Verschuldung des Konzerns. Es gilt eine Ausgabensperre. Was läuft aus dem Ruder?
Wir müssen schlicht unsere selbst gesetzten Ergebnisziele erreichen. Die Lage im Güterverkehr ist besonders schwierig, weil die Lkw viele Wettbewerbsvorteile haben und im Vergleich zur Bahn viel billiger unterwegs sind. Mit dem Ergebnis, dass mehr Lkw die Autobahnen verstopfen. und digitaler Stellwerke errichten wir eine völlig neue, intelligente Netzarchitektur. Damit können wir im vorhandenen Netz bis zu 20 Prozent mehr Kapazität fahren. Der Betrieb wird künftig komplett digital gesteuert – wartungsaufwendige Signaltechnik und Stellwerke aus mehreren Jahrzehnten werden schrittweise abgelöst.
Wie geht das?
Bislang stehen ja feste Signale an den Strecken. Beim European Train Control System ersetzt Funktechnologie diese Streckensignale. Damit können die Abstände zwischen den Zügen verringert und mehr Züge auf die Strecken geschickt werden. Ohne Gleise bauen zu müssen, passen so mehr Züge auf das Schienennetz.
Was verbessert sich für die Reisenden?
Die Bahn wird durch die Digitalisierung insgesamt pünktlicher, zuverlässiger, komfortabler. Davon bin ich fest überzeugt, weil wir dann in einem in sich geschlossenen, standardisierten System fahren. Mit Ferndiagnosesystemen spüren wir künftig Schäden an Weichen oder Hindernisse auf dem Gleis vorab auf.
Wann ist die Digitalisierung abgeschlossen?
Wir wollen von 2020 an bis 2025 mehrere Strecken in Deutschland für insgesamt 1,7 Milliarden Euro digitalisieren. Geplant ist, einen Nord-süd-korridor durch Deutschland zu digitalisieren – von Nord- und Ostsee durch Mitteldeutschland nach Bayern und weiter bis zum Mittelmeer. So können wir viele Lkw von den Straßen holen. Zudem sollen bestimmte Kernstrecken ausgebaut werden – etwa die Schnellfahrstrecke Köln–rhein-main und die Strecke von Dortmund über Bielefeld nach Hannover. Hier bringt die neue Technik mehr Kapazität. In Stuttgart planen wir, die Stuttgarter S-bahn im Rahmen von „Stuttgart 21“zu digitalisieren. Stuttgart ist damit Pilot für andere Metropolregionen. All die Vorhaben haben eines gemeinsam: Sie wirken sich positiv auf die Qualität und Kapazität unseres Netzes aus.
„Die Bahn wird durch die Digitalisierung pünktlicher, zuverlässiger, komfortabler.“