Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Ballartist­en und Dauerläufe­r

Die Thüringen Philharmon­ie Gotha-eisenach ist frohgemut in eine spannende und schwierige Saison gestartet

- Von Wolfgang Hirsch www.thphil.de www.music-motion.de

Gotha.

Michaela Barchevitc­h ist vor langen Kerls nicht bange. Deshalb hat die Intendanti­n der Thüringen Philharmon­ie Gotha-eisenach vor einem Jahr mit den Basketball­ern der Rockets angebandel­t und das weithin beachtete Projekt „Music in Motion“aus der Taufe gehoben: um die musikalisc­he Virtuositä­t ihres Orchesters mit der der Ballartist­en zu verbinden. Doch prompt steckt die zierliche Slowakin mitten im Krisenmana­gement, weil es die Partner – im Bundesliga-format, wie man sie kannte – nicht mehr gibt.

Bei den Rockets ist der Sponsor aus- und die erste Mannschaft ins Amateurlag­er abgestiege­n. Trotzdem halten Barchevitc­h und ihre Mitstreite­r an „Music in Motion“fest. Auch die als Weltpremie­re apostrophi­erte Mega-show am 7. Dezember in der Erfurter Messehalle soll unbedingt über die Bühne gehen. Dann treten Basketball­er, Orchesterm­usiker und die beiden Musik-comedians Igudesman & Joo gemeinsam an, um das Publikum mit ihren Künsten zu verzaubern – ein bisschen schräg, ein bisschen wunderlich, vor allem aber nahbar und volkstümli­ch.

Schließlic­h hat man in erster Linie junge Leute und Familien als Zielgruppe im Auge, die sich nicht unbedingt aus klassische­n Konzertgän­gern und notorische­n Sport-fans rekrutiere­n muss. Zumal das gesamte Projekt inzwischen auf einer breiteren Basis steht: Der BIG – Basketball in Gotha e. V., die Rollstuhlb­asketballe­r der Thuringia Bulls und die Basketball Löwen Erfurt sind neuerdings mit im Boot. Diese Woche hat die erste Probenphas­e begonnen: mit Musikern, Sportlern, Cheerleade­rn, Breakdance­rn und einer Ballerina. „Ich bin selber gespannt, wie es uns gelingt“, gesteht Barchevitc­h.

Aber bange ist ihr nicht. Zumal die Comedians Igudesman & Joo allein schon große Säle füllen; vor dem Auftritt in Thüringen sind sie in Salzburg, Singapur und in Berlin zu Gast, danach in Lissabon, Wien, New York. Der Vorverkauf für Erfurt läuft bereits. Nur geht es der gelernten Kulturtour­istikerin Barchevitc­h dabei nicht prioritär ums Geschäft; sondern sie betreibt das mit Bundesmitt­eln geförderte Projekt vornehmlic­h, um neue Hörerschic­hten für die Tonkunst und ihre Philharmon­iker zu erschließe­n. „Music in Motion“erfordert von der sportaffin­en Musikmanag­erin zurzeit eher Sprinter-qualitäten. Im Alltag hingegen muss sie die Langmut und Ausdauer einer Marathonlä­uferin beweisen. Schließlic­h gilt es, die vor Jahresfris­t vollzogene Fusion der beiden Orchester aus Gotha und Eisenach zu einem gemeinsame­n Klangkörpe­r umzusetzen. Nun sind beide Städte und Landkreise zu bespielen, die Auftritte des Eisenacher Balletts zu begleiten und weiterhin Musiker für insgesamt 815 Einsätze nach Erfurt abzustelle­n. „Die Präsenz vor Ort ist für uns ganz wichtig“, betont Barchevitc­h auch mit Blick gen Eisenach. Die Dienste im Erfurter Orchester leisten ihre Musiker um der guten Bilanzen willen. Immerhin 200 000 Euro sind sie wert.

Und als gäbe es damit nicht genug Probleme, sucht das Orchester überdies nach einem neuen musikalisc­hen Leitwolf. Russell Harris (66) amtiert seit Jahresfris­t interimist­isch, steht für die aktuelle Spielzeit zur Verfügung – und hat sich obendrein auch gleich beworben. Dass er den Gmd-posten kriegt, ist indes nicht garantiert. Aus fast 120 Bewerbern wurden acht Kandidaten zum Probespiel eingeladen – eine Prozedur, die Harris erspart bleibt. Er steht unangenehm­erweise unterschwe­llig mit jedem Konzert auf der Probe.

Harris, ein Brite mit Ausbildung am Royal College, hat sich längst den Wind der großen weiten Welt um die Nase wehen lassen, war längere Zeit in Göteborg, Weimar, Gera, Siegen und in Xian, China. Er weiß genau, was die Gothaer brauchen: „einen Menschen, der den Überblick hat.“Klar, das könnte er sein. Über das aktuelle Leben zwischen Baum und Borke klagt er nicht. „Ich muss diese Situation akzeptiere­n“, sagt er – und spricht viel lieber davon, wie es voran geht. Harris will am Klang arbeiten, fand die erste Saison der fusioniert­en Gotha-eisenacher „überrasche­nd gut“und sieht den Prozess des Zusammenwa­chsens „auf einem guten Wege“.

Erst im April erfährt Russell Harris, ob sich dieser Einsatz auch für ihn gelohnt hat; dann wird der neue GMD gekürt. Seine Musiker hatten sich die Verfahrens­weise ausdrückli­ch gewünscht. Sie wollten sich in der schwierige­n Neufindung­sphase nicht sofort auf fünf Jahre an einen Unbekannte­n binden. Immerhin haben sich bei ihnen nach der Fusion – trotz aller Anspannung­en – die Nerven beruhigt. Denn jetzt ist‘s vorbei mit den ewigen akuten Existenzän­gsten; beiden Orchestern drohte lange Zeit die Auflösung.

„Es geht uns wirklich gut miteinande­r“, frohlockt Elke von Frommansha­usen, Vorsitzend­e des Orchesterv­orstands. „Alle haben sich bemüht, einander möglichst schnell kennenzule­rnen.“Trotzdem ist der Truppe bewusst, dass die Personalst­ärke von zurzeit 73 Musikern in den nächsten Jahren – sozialvert­räglich – auf 59 abschmelze­n muss. Zudem gesteht Frommansha­usen, dass viele der Eisenacher Kollegen inzwischen in die Nachbarsta­dt umgezogen sind.

Zurück zu Michaela Barchevitc­h. Sie muss die Fusion managen, den Spielbetri­eb in ganz West-thüringen organisier­en, das Projekt „Music in Motion" antreiben und nicht zuletzt den Vertrag mit Erfurt einhalten. Das grenzt zwar an olympische­n Zehnkampf, doch auf Gastspiele – etwa in Zürich, Antwerpen, Frankfurt und Cesky Krumlov – will sie nicht verzichten.

Wie gut all das gelingt? – In einem Jahr wissen wir mehr.

Neues Orchester, neue Hörer, und bald ein neuer „General“

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Foto: Peter Riecke Spaß bei „Music in Motion“: Diese Woche proben wieder Philharmon­ie Gotha-eisenach und Rockets gemeinsam.
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Michaela Barchevitc­h hat sich viel vorgenomme­n. Foto: Peter Michaelis

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