Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Ballartisten und Dauerläufer
Die Thüringen Philharmonie Gotha-eisenach ist frohgemut in eine spannende und schwierige Saison gestartet
Gotha.
Michaela Barchevitch ist vor langen Kerls nicht bange. Deshalb hat die Intendantin der Thüringen Philharmonie Gotha-eisenach vor einem Jahr mit den Basketballern der Rockets angebandelt und das weithin beachtete Projekt „Music in Motion“aus der Taufe gehoben: um die musikalische Virtuosität ihres Orchesters mit der der Ballartisten zu verbinden. Doch prompt steckt die zierliche Slowakin mitten im Krisenmanagement, weil es die Partner – im Bundesliga-format, wie man sie kannte – nicht mehr gibt.
Bei den Rockets ist der Sponsor aus- und die erste Mannschaft ins Amateurlager abgestiegen. Trotzdem halten Barchevitch und ihre Mitstreiter an „Music in Motion“fest. Auch die als Weltpremiere apostrophierte Mega-show am 7. Dezember in der Erfurter Messehalle soll unbedingt über die Bühne gehen. Dann treten Basketballer, Orchestermusiker und die beiden Musik-comedians Igudesman & Joo gemeinsam an, um das Publikum mit ihren Künsten zu verzaubern – ein bisschen schräg, ein bisschen wunderlich, vor allem aber nahbar und volkstümlich.
Schließlich hat man in erster Linie junge Leute und Familien als Zielgruppe im Auge, die sich nicht unbedingt aus klassischen Konzertgängern und notorischen Sport-fans rekrutieren muss. Zumal das gesamte Projekt inzwischen auf einer breiteren Basis steht: Der BIG – Basketball in Gotha e. V., die Rollstuhlbasketballer der Thuringia Bulls und die Basketball Löwen Erfurt sind neuerdings mit im Boot. Diese Woche hat die erste Probenphase begonnen: mit Musikern, Sportlern, Cheerleadern, Breakdancern und einer Ballerina. „Ich bin selber gespannt, wie es uns gelingt“, gesteht Barchevitch.
Aber bange ist ihr nicht. Zumal die Comedians Igudesman & Joo allein schon große Säle füllen; vor dem Auftritt in Thüringen sind sie in Salzburg, Singapur und in Berlin zu Gast, danach in Lissabon, Wien, New York. Der Vorverkauf für Erfurt läuft bereits. Nur geht es der gelernten Kulturtouristikerin Barchevitch dabei nicht prioritär ums Geschäft; sondern sie betreibt das mit Bundesmitteln geförderte Projekt vornehmlich, um neue Hörerschichten für die Tonkunst und ihre Philharmoniker zu erschließen. „Music in Motion“erfordert von der sportaffinen Musikmanagerin zurzeit eher Sprinter-qualitäten. Im Alltag hingegen muss sie die Langmut und Ausdauer einer Marathonläuferin beweisen. Schließlich gilt es, die vor Jahresfrist vollzogene Fusion der beiden Orchester aus Gotha und Eisenach zu einem gemeinsamen Klangkörper umzusetzen. Nun sind beide Städte und Landkreise zu bespielen, die Auftritte des Eisenacher Balletts zu begleiten und weiterhin Musiker für insgesamt 815 Einsätze nach Erfurt abzustellen. „Die Präsenz vor Ort ist für uns ganz wichtig“, betont Barchevitch auch mit Blick gen Eisenach. Die Dienste im Erfurter Orchester leisten ihre Musiker um der guten Bilanzen willen. Immerhin 200 000 Euro sind sie wert.
Und als gäbe es damit nicht genug Probleme, sucht das Orchester überdies nach einem neuen musikalischen Leitwolf. Russell Harris (66) amtiert seit Jahresfrist interimistisch, steht für die aktuelle Spielzeit zur Verfügung – und hat sich obendrein auch gleich beworben. Dass er den Gmd-posten kriegt, ist indes nicht garantiert. Aus fast 120 Bewerbern wurden acht Kandidaten zum Probespiel eingeladen – eine Prozedur, die Harris erspart bleibt. Er steht unangenehmerweise unterschwellig mit jedem Konzert auf der Probe.
Harris, ein Brite mit Ausbildung am Royal College, hat sich längst den Wind der großen weiten Welt um die Nase wehen lassen, war längere Zeit in Göteborg, Weimar, Gera, Siegen und in Xian, China. Er weiß genau, was die Gothaer brauchen: „einen Menschen, der den Überblick hat.“Klar, das könnte er sein. Über das aktuelle Leben zwischen Baum und Borke klagt er nicht. „Ich muss diese Situation akzeptieren“, sagt er – und spricht viel lieber davon, wie es voran geht. Harris will am Klang arbeiten, fand die erste Saison der fusionierten Gotha-eisenacher „überraschend gut“und sieht den Prozess des Zusammenwachsens „auf einem guten Wege“.
Erst im April erfährt Russell Harris, ob sich dieser Einsatz auch für ihn gelohnt hat; dann wird der neue GMD gekürt. Seine Musiker hatten sich die Verfahrensweise ausdrücklich gewünscht. Sie wollten sich in der schwierigen Neufindungsphase nicht sofort auf fünf Jahre an einen Unbekannten binden. Immerhin haben sich bei ihnen nach der Fusion – trotz aller Anspannungen – die Nerven beruhigt. Denn jetzt ist‘s vorbei mit den ewigen akuten Existenzängsten; beiden Orchestern drohte lange Zeit die Auflösung.
„Es geht uns wirklich gut miteinander“, frohlockt Elke von Frommanshausen, Vorsitzende des Orchestervorstands. „Alle haben sich bemüht, einander möglichst schnell kennenzulernen.“Trotzdem ist der Truppe bewusst, dass die Personalstärke von zurzeit 73 Musikern in den nächsten Jahren – sozialverträglich – auf 59 abschmelzen muss. Zudem gesteht Frommanshausen, dass viele der Eisenacher Kollegen inzwischen in die Nachbarstadt umgezogen sind.
Zurück zu Michaela Barchevitch. Sie muss die Fusion managen, den Spielbetrieb in ganz West-thüringen organisieren, das Projekt „Music in Motion" antreiben und nicht zuletzt den Vertrag mit Erfurt einhalten. Das grenzt zwar an olympischen Zehnkampf, doch auf Gastspiele – etwa in Zürich, Antwerpen, Frankfurt und Cesky Krumlov – will sie nicht verzichten.
Wie gut all das gelingt? – In einem Jahr wissen wir mehr.
Neues Orchester, neue Hörer, und bald ein neuer „General“
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