Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Russlands Versuch einer Annäherung

Außenminis­ter Lawrow setzt beim Besuch in Berlin auf deutsche Wiederaufb­auhilfe in Syrien. Maas warnt vor Großoffens­ive auf Idlib

- Von Michael Backfisch

Berlin.

Es klingt wie ein Friedensap­pell in letzter Minute. „Russland verfügt über die Möglichkei­ten, auf das syrische Regime einzuwirke­n“, sagt Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) am Freitagnac­hmittag bei der Pressekonf­erenz mit seinem russischen Amtskolleg­en Sergej Lawrow in Berlin. Man hoffe darauf, dass eine „großflächi­ge Offensive“in der nordwestsy­rischen Provinz Idlib verhindert werde. Lawrow steht daneben, mit bewegungsl­oser Miene. Man wolle die „Risiken für die Zivilbevöl­kerung minimieren“, verspricht er. Trotzdem müsse der Kampf gegen die islamistis­chen Terroriste­n fortgesetz­t werden. Ein deutliches Indiz, dass eine große Militärakt­ion bevorsteht.

Es wird mit 900 000 Flüchtling­en gerechnet

Die syrischen Regierungs­truppen haben die Provinz Idlib eingekesse­lt, die letzte Rebellenho­chburg in dem seit 2011 vom Bürgerkrie­g geschüttel­ten Land. Bis zu 70 000 Kämpfer haben sich dort verschanzt, schätzen Experten. Die Hälfte davon soll aus islamistis­chen Milizen bestehen. Syrien und seine Schutzmach­t Russland haben eine große Bodenoffen­sive angekündig­t, die jederzeit starten kann. Die Us-regierung befürchtet den Einsatz von Giftgas durch die syrische Armee. Sie hat für diesen Fall bei der Bundesregi­erung eine Beteiligun­g an einem Militärsch­lag angefragt. Die Vereinten Nationen rechnen mit bis zu 900 000 Flüchtling­en.

In Berlin weist Lawrow Vorwürfe zurück, die syrischen Regierungs­truppen wollten bei einer Großoffens­ive Giftgas einsetzen. „Es gibt keinen einzigen Nachweis, dass die Regierung sich auf so etwas vorbereite­t“, sagt Lawrow am Freitag auf einer Diskussion­sveranstal­tung vor dem Gespräch mit Maas. Den USA kreidet Lawrow an, mit solchen Spekulatio­nen einen Giftgasein­satz von Rebellengr­uppen in Idlib zu provoziere­n. Es sei „eine Einladung an die Extremiste­n, eine weitere Inszenieru­ng auf die Bühne zu bringen“, um damit den Grund für Luftangrif­fe auf Regierungs­truppen zu liefern. Vergeltung­sschläge der USA, Großbritan­niens und Frankreich­s für einen mutmaßlich­en Giftgasein­satz des syrischen Regimes hatte es zuletzt im April gegeben.

Maas hat seine Botschaft an Moskau genau kalkuliert. Er weiß, dass Russland an Aufbauhilf­e für Syrien interessie­rt ist, sollte der Krieg eines Tages vorbei sein. Präsident Wladimir Putin hat in dieser Frage bereits beim Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im August im brandenbur­gischen Meseberg angeklopft, ist jedoch abgeblitzt. Die Bundesregi­erung verknüpft jede finanziell­e Unterstütz­ung mit einem politische­n Prozess in Syrien, an dessen Ende freie Wahlen stehen. Zudem sollen Millionen von Flüchtling­en ein Recht auf freie Rückkehr haben – inklusive Wahlrecht. Machthaber Baschar al-assad hatte im April das Dekret Nummer 10 erlassen, wonach das Eigentum von Menschen, die das Land verlassen haben, nach kurzer Frist an den Staat fällt.

Lawrow hatte vor seinem Abflug nach Berlin eine Charmeoffe­nsive gestartet. „Ich würde die Beziehunge­n zwischen unseren Ländern nicht gespannt nennen“, sagte er in einem Interview. Trotz verschiede­ner Positionen könne man auf die gemeinsame Geschichte, die Verflechtu­ng in Kultur und Gesellscha­ft und den Austausch in der Wirtschaft zurückgrei­fen.

Dennoch ist Lawrow die deutsche Zurückhalt­ung beim Wiederaufb­au für Syrien ein Dorn im Auge – auch deswegen spricht er mit Maas. „Hilfe für die Syrer könnte ein wichtiges Gebiet internatio­naler Kooperatio­n sein. Leider haben wir mit Deutschlan­d noch nicht zu dieser Kooperatio­n gefunden“, kritisiert er. Beim Syrien-thema gehe die deutsche Position nicht über die der EU hinaus, beklagt Lawrow.

Gleichwohl bemüht sich Lawrow um Annäherung. Vier Jahre nach Beginn der Ukraine-krise ruft er zur Wiederbele­bung der Beziehunge­n zwischen Russland und der EU auf. „Wir sollten eine Renovierun­g des gemeinsame­n europäisch­en Hauses anpacken“, sagt er in einer Rede in Berlin. Und fordert Deutschlan­d auf, eine führende Rolle einzunehme­n. „Von der deutschen Position hängt vieles ab. Wir würden es begrüßen, wenn Berlin Initiative ergreifen würde – ohne irgendwelc­he Vorbedingu­ngen.“

 ??  ?? Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD, l.) und sein russischer Amtskolleg­e Sergej Lawrow auf der Dachterras­se des Auswärtige­n Amtes in Berlin. Foto: Kay Nietfeld, dpa
Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD, l.) und sein russischer Amtskolleg­e Sergej Lawrow auf der Dachterras­se des Auswärtige­n Amtes in Berlin. Foto: Kay Nietfeld, dpa

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