Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Im Feuer der Zeit
Man nennt das, glaube ich, Evolution. Früher da besorgte er das Fleisch – „Nein, Schatz, Mammut ist heute nicht, nur ein paar Erdmännchen“–, und sie briet es, wenigstens, nachdem sie das Feuer erfunden hatten. Später änderte sich das, sie kauft, er brät. Am Grill. Auf dem Stuhl Petri und am Grill, da waren wir sicher unter uns, die heiß Society.
Aber alles fließt, Geschichte ist Veränderung. So kann ich eine kürzlich aufgestellte These des Kollegen Hanno M. empirisch verifizieren. Der teilte unlängst mit, es sei die Herrschaft des Mannes am Grill gebrochen. So ist es, wenigstens die des älteren Mannes.
In einem früheren Leben nämlich, da war ich der Mann am Grill, es war, neben dem Autofahren, die einzige praktische Verrichtung, in deren Ausübung ich als kompetenter galt. Allerdings, da muss ich nun wiederum dem Kollegen widersprechen, als geborener Thüringer bin ich old school. Bratwurst & Brätel, wenn es hoch kam, einen eingeklemmten Fisch. Ich war nie ein Anhänger von Apfel in Pfefferminzschaum oder kandierter Banane mit Pistazienschaum als Trägermasse. Das ist Teil meiner Thüringer Leitkultur, Bratwurst, Senf, aus die Maus. Schließlich haben wir, wir Thüringer, das erfunden, die Bratwurst, das Grillen und das Reinheitsgebot fürs Bier. So habe ich das gehalten, als ich noch Chef war am Grill. Ich war es nicht einmal besonders gern, aber ein Mann muss tun, was seine Frau wünscht, das er tut. Das war in einem früheren Leben.
Aber dann kam Ilja. Das heißt zuvor kam die Dame und auch die hat ein früheres Leben, und davon blieb, unter anderem, der besagte Sohn. Der wiederum ist, was immer er sonst sein mag, ein ambitionierter Griller. Sein Arbeitsgerät, das sind nicht einfach ein paar Metallstäbe mit einer Schale drunter, das ist Hightech und beim Arbeiten wird, an der Stelle an der ich die Schwärze des Grillgutes prüfte, die Kerntemperatur gemessen. Und der Pistazienschaum ist da nicht nur ein Zitat, er macht wirklich so Zeug. Das schmeckt auch alles, allerdings, ich bin weg vom Fenster, will sagen: vom Grill. Und nun frage ich mich, mit Mr. Spock zu reden, vom Feuer der Zeit gegrillt, was Herbert Grönemeyer sich und uns auch fragt, nämlich, was den Mann zum Manne macht.
Sicher, ich fahre Rad, bis es wehtut, ich gebe gern an damit, dass ich vor Menschengedenken einmal wegen einer Prügelei vor die Konfliktkommission des Erfurter Theaters geladen wurde, und damit, dass ich kurz vor diesem Urlaub aus einem Flugzeug gesprungen bin, auch. Das ist vermutlich, wie ich einräume, Teil eines Kompensationssyndroms. Denn was ich hier so mache, am Schreibtisch sitzen, Buchstaben reihen, das ist nun eben auch nicht der Inbegriff der Männlichkeit.
Im Übrigen verbringe ich viel Zeit in der Küche, rentenempfangender Mann einer berufstätigen Frau. Früher hieß das Schlüsselkind, wenn ich aus der Schule kam, war mein Fräulein Mutter auch aushäusig Geld verdienen. Dann musste ich mir die Suppe aufwärmen oder frisch aus der Tüte selbst herstellen, dann kam der Abwasch, die Küche fegen, Betten machen. Das hat mir damals nicht wirklich gefallen, aber es war eine gute Schule für das spätere Leben. Denn genau das tue ich jetzt wieder. Nur, dass die Fertiggerichte jetzt deutlich höherwertiger sind, nur dass ich jetzt den Geschirrspüler ein- und ausräume. Doch der Besen ist immer noch der Besen.
Außerdem bin ich so etwas wie der persönliche Assistent der Dame, ich beobachte die Kontostände, ich bin zuständig für die Kommunikation mit den ungeliebten Institutionen, ich notiere und erinnere so gut wie alle außerdienstlichen Termine, eingeschlossen die Geburtstage und Autoinspektionen. Zur Belohnung teilt sie mir immer rechtzeitig mit, wohin wir im nächsten Urlaub fahren.
In diesem, in dem wir uns grad befinden, sollte es eigentlich Bali sein, aber wegen der seismografischen Ereignisse in der näheren und weiteren Umgebung haben wir umgebucht. Feige also auch noch, und ich war nicht der Kerl, der ihr versprach, er werde sie beschützen mit starken Armen.
Irgendwie hat diese komische Evolution dazu geführt, dass ich zu Hause sitze und mir am Abend erzählen lasse, was so passiert in der Welt. Und dann kommen noch so ein paar junge Schnipsen und erzählen mir was von alten weißen Männern. Dabei, als ich, sehr damals, bei meiner ersten Zeitung meinen ersten Visaantrag für ein ziemlich ausländisches Ausland ausfüllen durfte, da schrieb ich in die Rubrik „Hautfarbe“: braun. Die Bearbeiterin lächelte milde und korrigierte: weiß. Ich wollte nicht, ich musste.
Kürzlich waren wir bei dem Kollegen Dr. Q. geladen. Seine Dame tat dies & jenes, er stand am Grill. Es ist also noch nicht alles verloren.
Henryk Goldberg ist
Publizist und schreibt jeden Samstag seine Kolumne