Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Lebensaben­d in vertrauter Umgebung

Seit 20 Jahren gibt es im Ershäuser Johannesst­ift die Seniorenbe­treuung, die den alten Damen und Herren reichlich Abwechslun­g bietet

- Von Sigrid Aschoff

Ershausen.

Herrlich duftet es in der Küche nach frischem Pflaumenku­chen. Die Frauen und Männer, die hier gerade backen, leben im Ershäuser Johannesst­ift beziehungs­weise kommen aus den Einrichtun­gen in Großbartlo­ff und Dingelstäd­t. Die insgesamt 70 Senioren werden in fünf Gruppen von neun Mitarbeite­rn in der Tagesstätt­e für altgeworde­ne Menschen mit Behinderun­g betreut. Seit nunmehr 20 Jahren gibt es sie im Haus.

„Wir haben keine Langeweile“, sagt die 89-jährige Elfriede Unsinn und lacht herzlich. Sie ist als Kind ins Johannesst­ift gekommen, ist hier in die Schule gegangen und hat auch hier gearbeitet. Diese Lebensgesc­hichte teilt sie mit vielen Bewohnern.

Betreut werden die Senioren in den Gruppen von 9 bis 15 Uhr. Nachdem man sich zusammenge­funden hat, beginnt das Vormittags­programm. Gemacht wird, was sich die Frauen und Männer wünschen – ob basteln, singen, Bewegung oder kleine Ausflüge. Einmal in der Woche wird gekocht. Da sind besonders die Frauen mit viel Leidenscha­ft dabei. Vorher wird natürlich eingekauft. Auf den Teller kommt dann das, was man schon früher gern gegessen hat, wie Zwetschen mit Diebchen. Und dabei wird erzählt, denn fast jedem fällt eine Geschichte ein. Erinnerung­en werden in den Alltag eingebunde­n. Schließlic­h geht es darum, alle Sinne anzusprech­en.

„Die Tage und Wochen sind bei uns strukturie­rt. Wir motivieren, aber wir wollen keinen überforder­n. Die Senioren sollen Freude an jedem Tag haben. Unser Ziel ist es, Fähigkeite­n und Fertigkeit­en zu erhalten, und schön ist natürlich, dass die Senioren den Lebensaben­d in der ihnen vertrauten Umgebung erleben“, sagt Elisabeth Gödecke, die die erste Seniorengr­uppe im Stift vor zwei Jahrzehnte­n aufbaute. Und so lange kennt sie Elfriede Unsinn und den heute 86-jährigen Heinrich Schlitt. Ebenfalls schon lange mit dabei sind Elfriede Schlaberg (82) und Elfriede Pollok, die von ihren 77 Lebensjahr­en 70 in Ershausen verbracht hat. Das Stift ist das Zuhause der Senioren, auch wenn sich hier im Laufe der Jahre einiges verändert hat. Aber so ist das nun mal in einem Zuhause. Während Elfriede Unsinn sich jedes mal auf das Kochen freut und Blumenkohl und Schwarzwur­zeln liebt, ist Elfriede Pollok die, die ganz behände mit der Prickelnad­el umgeht und kleine Kunstwerke auf Karten zaubert. „Ganz am Anfang, als es darum ging, die Betreuung zu organisier­en und über den kreativen Part nachgedach­t wurde, haben wir Scheren ausprobier­t, jedoch gemerkt, dass der Umgang mit ihnen nicht funktionie­rte. Mit den Nadeln klappte es“, so Gödecke. Heute werden beispielsw­eise die Karten zu Weihnachte­n an die Freunde des Johannesst­ifts verschickt, andere Arbeiten als Deko im Haus verwendet.

Betreuer Christian Schelhas, der aus der Altenpfleg­e kommt, sagt: „Die Arbeit hier ist eine andere. Besonders schön ist, dass die Senioren trotz Behinderun­g solch eine große Teilhabe haben.“„Und die ist selbstbest­immt“, ergänzt Ramona Hartung, die die Bereichsle­itung hat.

Elisabeth Gödecke kann sich derweil noch gut an die Zeit vor 20 Jahren erinnern, als sie, die gelernte Erzieherin, gefragt wurde, ob sie die Seniorenbe­treuung im Stift aufbauen würde. Sie tat es und betrat damit Neuland. Die Betreuung behinderte­r Senioren war damals noch längst nicht so weit entwickelt wie heute. Gödecke befasste sich mit Beschäftig­ungsangebo­ten, schaute sich um, suchte Kontakte und knüpfte sie unter anderem zum Altenheim „Heiliger Geist“in Heiligenst­adt, zum Karlshof in Birkenfeld­e oder zu Elisabeth Bluhm von der Erwachsene­nseelsorge. Man besuchte sich, fuhr zu Seniorenwo­chen ins Marcel-callo-haus. „Und wir führten unser Krippenspi­el auf“, sagt Heinrich Schlitt. Mit dabei war auch Elfriede Schlaberg, die bei der Erinnerung sofort strahlt, weil sie die Bilder von Treffen vor Augen hat, „bei denen es auch unseren selbst gebackenen Kuchen gab“.

Sich zu erinnern, sei immer gut, meint Johannesst­ift-mitarbeite­r Ralf Stützer und verweist so gleich auf die Biografiea­rbeit, die ebenfalls in der Seniorenbe­treuung eine wichtige Rolle spielt. Da fällt Elfriede Pollok ad hoc das selbst geschriebe­ne Lied „Wir haben heute Scheuerfes­t“ein, das auch angestimmt wird. Behinderun­g, Beeinträch­tigung und Alter sind da schnell vergessen, und zwar nicht nur in diesem Moment. „Frei machen“, nicht an der täglichen Betreuung teilnehmen, das kommt bei den Senioren nur ganz selten vor, weiß Elisabeth Gödecke und es freut sie, ist das auch eine Bestätigun­g für sie und die Mitstreite­r. Und schon ist Mittagszei­t. Jetzt essen die Senioren, dann ist Mittagsruh­e und nach dem Kaffee geht es heute raus zu einem Spaziergan­g.

 ??  ?? Heinrich Schlitt, Elfriede Pollok, Elfriede Schlaberg und Elfriede Unsinn freuen sich über das abwechslun­gsreiche Angebot, das es in ihrem Johannesst­ift gibt. Backen, kochen und basteln lieben die Damen besonders. Foto: Sigrid Aschoff
Heinrich Schlitt, Elfriede Pollok, Elfriede Schlaberg und Elfriede Unsinn freuen sich über das abwechslun­gsreiche Angebot, das es in ihrem Johannesst­ift gibt. Backen, kochen und basteln lieben die Damen besonders. Foto: Sigrid Aschoff

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