Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Hurrikan trifft mit Wucht auf Land
Wirbelsturm sorgt für Chaos an der Us-ostküste. Lange und heftige Regenfälle drohen im Inland. Zwei Menschen sterben
Washington.
„Florence“hatte ihr kilometerbreites „Auge“um 7.15 Uhr zum ersten Mal bei Wrightsville Beach übers Festland geneigt, da prägte North Carolinas Gouverneur Roy Cooper gestern schon den Leitspruch, der in den nächsten Tagen an Amerikas Südostküste den Takt vorgibt: „Diesen Wirbelsturm zu überleben, wird von Ausdauer, Teamarbeit, gesundem Menschenverstand und Geduld abhängen.“
Ausdauer und Geduld deshalb, weil der zuletzt von Stufe vier (251 km/h) auf Stufe eins heruntertaxierte Hurrikan (Windgeschwindigkeiten bis Tempo 153 km/h) nach Angaben der Meteorologen so riesig, schwerfällig und wassergeladen ist, dass man seine zerstörerischen Ausläufer noch bis weit in die nächste Woche hinein Hunderte Kilometer entfernt spüren wird.
Die größten Gefahren, so die Experten im Nationalen Hurrikan-zentrum in Miami, gehen dabei nicht von den Böen aus, die gestern erwartungsgemäß Tankstellendächer, Strommasten und Bäume mitrissen. Sondern von den rekordträchtigen Wassermassen.
Einer der größten Stürme der vergangenen Jahrzehnte peitscht Salzwasserspringfluten von drei Meter Höhe und mehr an Land und zwingt dabei de facto Flüsse, die Fließrichtung zu ändern. Dazu kommen Süßwasserüberschwemmungen, die ihre Quelle in den sturzbachartigen Regenfällen haben. „An einigen Orten werden in kurzer Zeit 1000 Liter auf einen Quadratmeter heruntergehen“, sagte Jim Cantore, einer der bekanntesten Tv-wetterexperten.
Darum sollten sich gerade Leute, die 50, 60, 70 Kilometer von der Küste entfernt wohnen, „nicht so sicher fühlen“. Die Flüsse, die „Florence“anschwellen lässt, würden sich früher oder später wie „Badewannen ohne Stöpsel“verhalten. Erschwerend komme hinzu, dass „Florence“mit einem Vorwärtstempo von unter zehn Kilometern pro Stunde „äußerst langlebig“sei und zum allem Überfluss auch noch Tornados mitbringe.
Was die Schadensbilanz angeht, meldeten die Behörden bisher die üblichen Facetten: knapp 500 000 Haushalte ohne Strom, Hunderte Keller überschwemmt, Dutzende Stadtviertel von jeder Infrastruktur abgetrennt.
Der Hurrikan forderte in der Nacht die ersten beiden Todesopfer: In der Us-stadt Wilmington (North Carolina) stürzte ein Baum auf ein Wohnhaus, eine Frau und ihr Kleinkind starb. Das teilte die örtliche Polizei mit. Der Vater des Kindes wurde mit erheblichen Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht – und überlebte.
In 200 Notunterkünften in South und North Carolina stehen rund 50.000 Notschlafplätze bereit. Gestern früh waren laut Medienberichten erst 20.000 belegt. Am meisten hatten die Helfer am Morgen im idyllischen New Bern zu tun. In der zu Beginn des 17. Jahrhunderts von Deutschen und Schweizern um Baron Christopher de Graffenried gegründeten Stadt mit nunmehr 30 000 Einwohnern, die später durch die Erfindung von Pepsi-cola einige Berühmtheit erlangte, fließen die Flüsse Trent und Neuse ineinander.
Was bei einem Hurrikan eine besonders missliche Konstellation bedeutet – in diesem Fall Pegelstände von über drei Metern und flächendeckende Überflutungen. Rund 200 Anwohner hatten hier die seit Dienstag ausgegebenen Evakuierungspläne ignoriert und sich entschieden, den Sturm in den eigenen vier Wänden auszusitzen. Fema-rettungsteams waren bis zum Abend damit beschäftigt, die vom Wasser eingeschlossenen Menschen zu retten. Sie wurden via Twitter aufgefordert, in ihren Häusern in die Dachböden zu klettern.
Wann die Einwohner wieder in ihre Häuser zurückkehren dürfen, ist offen. Evakuierte Flutzonen werden meist für Wochen gesperrt. Zumal der größte Stromlieferant der Region prophezeit, dass bis zu drei Millionen Haushalte über Wochen ohne Elektrizität sein werden. Hauptgrund: „Florence“bringt laut Experten binnen drei Tagen den Niederschlag, der sonst in acht Monaten fällt.
In Morehead City mussten auch die Reporter des Lokalsenders WCTI TV aufgeben. Ihre Redaktion war buchstäblich abgesoffen.