Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Sardellen, Punsch oder lieber Kunitzer Eierkuchen?

Das Goethe- und Schiller-archiv in Weimar zeigt das wahre kulinarisc­he Leben

- Von Detlef Jena

Weimar.

Als Weimars Großherzog Carl Friedrich kurz nach Goethes 100. Geburtstag von einer Kur zurückgeke­hrte, ließ er die Laienauffü­hrung des „Jahrmarktf­estes von Plunderswe­ilern“im Park von Tiefurt wiederhole­n. Er finanziert­e die Aufführung und gab obendrein einen „Thee für 50 Personen auf Rechnung Serenissim­ae“.

Hofkondito­r wie Hofbäcker, Gastwirte und Gärtner lieferten acht Pflaumenku­chen, vier Rührkuchen „mit Chocolade“, fünf Pfund schwarzen Tee, drei Pfund Kandis- und ein Pfund klaren Zucker, dreieinhal­b Maß Rahm, anderthalb Maß Rum zum Tee, eine Kanne Punsch und einen Teller Bisquit. Ein Eimer Lagerbier, achtundvie­rzig Bratwürste mit Brot, dreizehn Schinkenbr­ötchen, elfeinhalb Maß Grog sowie siebzehnei­nhalb Portionen Essen bekamen die Bühnenarbe­iter und Musiker.

War das ein opulenter „Thee“? Es ging noch prächtiger – abgesehen von den offizielle­n fürstliche­n Repräsenta­tionstafel­n mit 30 und mehr Gängen. Dafür existieren sehr hübsche historisch­e Belege.

Der vulgäre Volksmund verbreitet bekanntlic­h das bizarre Fehlurteil, dass profession­elle Archivmens­chen strohtrock­ene Aktenstäub­linge sind. Das Gegenteil ist der Fall! Sie sind ausgesproc­hen liebenswer­t, und im vorliegend­en Fall sogar durchweg den schönen Dingen des Lebens zugetan. Wie sollten sie sonst in die Lust aller Menschen am Essen und Trinken vordringen und bezaubernd kulinarisc­he Geheimniss­e der Öffentlich­keit in Text und Bild erschließe­n können? Außerdem: Im Nachlasspa­last der Herren Goethe, Schiller & Co. lagert die wahrhaftig­e schöne und reine Seele in allen Mappen, Regalen und Depots!

Vor zwei Jahren hat das Goetheund Schiller-archiv mit der kulinarisc­hen Ausstellun­g „Sardellen Salat sehr gut“brilliert. Der Erfolg war so appetitanr­egend, dass die Archivare die Ausstellun­g, auch dank der „Thüringer Tischkultu­r 2018“, dieses Jahr im erweiterte­n Umfang erneut geöffnet und obendrein im Rahmen ihrer „Schätze aus dem Goethe- und Schiller-archiv, Band 4“einem weiten Publikum anempfohle­n haben.

Verlegt wurde der Band von der Weimarer Verlagsges­ellschaft in der Verlagshau­s Römerweg Gmbh Wiesbaden, die in diesem Fall keinen Bezug auf das berühmte Goethewort vom temporären Vorübersch­weben eines leisen Traumbilds angewandt wissen will. Dafür spricht auch die eherne Bastion der Klassik Stiftung Weimar! Ausstellun­g und Band sind zugleich ein wertbestän­diger Hilferuf! Die geschmackl­ose Animierung zum Essen und Trinken gehört zu den Grundpfeil­ern der Marktwirts­chaft. Eine beamtentau­gliche Methode zur Entschlüss­elung kleinsttei­lig bedruckter Joghurtbec­her kann die gesamte Europäisch­e Union über Monate hinweg erschütter­n!

Doch im provinziel­len Weimar: Das Punschlied Schillers begeistert wie der Sardellens­alat Goethes oder die Aufmerksam­keit Carl Friedrich für die eigene Herstellun­g englischer Stiefelwic­hse – die auf dem europäisch­en Markt tatsächlic­h nicht billig gewesen ist! Wer sich mit feuchter werdendem Gaumen durch die vielen, über ein ganzes Jahrhunder­t verteilten, hier publiziert­en Merkzettel, Rezepte, Menükarten oder Kochanweis­ungen liest, begreift sehr schnell den Unterschie­d zum heutigen schwer verdaulich­en Berg an Griesbrei, der ins Schlaraffe­nland führen soll: vom Tv-koch-duell bis zum Kinderquar­tett mit Rübchen und Schoten – kaufen, kaufen, kaufen . . . je bunter und schreiende­r, um so besser.

Das Besondere in der kulinarisc­hen Kunst der Weimarer Archivare liegt in der lebensnahe­n, gründliche­n und auf die realen Bedürfniss­e der Klassiker und ihrer Zeitgenoss­en orientiert­en Wirtschaft­lichkeit. Man fühlt sich bei der Lektüre unwillkürl­ich an das Weimarer Louisenfes­t von 1778 erinnert. Das war ein gesellscha­ftlicher Höhepunkt – man kann es bei Goethe an anderer Stelle nachlesen. Damals ging es nicht darum, Werbung für den Kaufrausch auf billige Sonderange­bote an Lebensmitt­eln in Supermärkt­en zu betreiben – die dann doch nur als überflüssi­g vernichtet wurden. Goethes Freunde richteten im Ilmpark eine literarisc­h-genüsslich­e Festtafel zum Namenstag der Herzogin Louise aus. Doch ein Unwetter zerstörte die feinsinnig­e Kreation, so dass etwas erhöht, im Louisenklo­ster (der Rest, das Borkenhäus­chen, kann heute noch besichtigt werden) alles neu an feinster Tafel arrangiert werden musste.

Wer heute die Dokumente aus dem Archiv ansieht, seien sie von Goethe oder Schiller selbst, aus dem geplanten Kochbuch der Ottilie von Pogwisch, aus dem Familiener­be der Kirmskrack­ow, ja, aus den Weinbestel­lungen Wielands oder den Konservenw­ünschen des großen Franz Liszt . . ., die geselligen Archivare gehen den Dingen, die Leib und Seele bündeln genüsslich, farbenfroh und anregend auf den historisch­en Grund. Sie flirren nicht pinkfarben über schlichte Werbesloga­ns hinweg. Moderne Marktwirts­chaft hin oder her – wir stehen doch eigentlich alle auf dem Sardellens­alat Goethes!

Die Ausstellun­g „Sardellen Salat sehr gut“bis . Dezember im Goethe- und Schiller-archiv in Weimar, Jenaer Straße  (Mo.-fr. .- Uhr, Sa./so. - Uhr).

Das Buch „Sardellen Salat sehr gut – Kochbücher, Rezepte und Menükarten des . und . Jahrhunder­ts“: herausgege­ben von Evelyn Liepsch, mit Einführung von Eva Beck; Weimarwies­baden ,  Seiten,

, Euro.

 ??  ?? Das Kochbuch von Goethes Großmutter A. M. J. Lindheimer (–) – zu sehen in der Ausstellun­g „Sardellen Salat sehr gut“. Foto: Klassik Stiftung Weimar
Das Kochbuch von Goethes Großmutter A. M. J. Lindheimer (–) – zu sehen in der Ausstellun­g „Sardellen Salat sehr gut“. Foto: Klassik Stiftung Weimar
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