Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Rudel von Ohrdruf: Neuer Rissrekord
Wölfin und Hybriden haben in diesem Jahr schon mehr als 100 Schafe, Ziegen und Fohlen getötet. Jetzt hat sich ein echter Wolf angeschlossen
Die Wölfin von Ohrdruf GW267F und ihr Rudel sind so aktiv wie nie zuvor. 106 Nutztiere, vor allem Schafe, wurden in diesem Jahr im engeren Jagdrevier der Raubtiere gerissen, also in den Landkreisen Gotha und Ilm-kreis. Das geht aus der offiziellen Risstabelle der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie hervor, jüngster Stand: 8. Oktober.
Zum Vergleich: Im Jahr 2017, als die inzwischen sieben Jahre alte Wölfin das erste Mal Nachwuchs bekam, Vater der Welpen war ein schwarzer Hund, wurden in den beiden Landkreisen 82 Nutztiere Opfer von Wolfsattacken. Im Jahr 2018 waren es 56 Nutztiere, die von der Wölfin und ihren Hybriden getötet wurden.
Die Anzahl der tödlichen Attacken auf Schafe, Ziegen und Fohlen hat sich im Raum Ohrdruf in den vergangenen Jahren drastisch erhöht: von 15 (2017) über 23 (2018) auf bisher 58 in diesem Jahr.
„Das ist nicht mehr normal, was hier passiert“, sagt Schäfer Michael Meister von der Agrargenossenschaft Drei Gleichen, der seine Herde auf dem Gebiet des Standortübungsplatzes und in der Nähe von Ohrdruf weiden lässt. „In der Nacht hat der Wolf wieder zugeschlagen, bei Mühlberg, unterhalb des Übungsplatzes“, sagt Meister. Ein Schaf wurde aufgefressen, zwei Lämmer wurden von flüchtenden Schafen niedergetrampelt, ein Schaf bekam einen Kehlbiss. Ein fünftes Schaf wandelt noch mit offengerissener Kehler durch die Herde. „Es versteckt sich“, sagt Meister. In der offiziellen Risstabelle findet auch dieses Schaf Erwähnung. In der Rubrik „Bemerkung“heißt es dazu: „1 weiteres verletzt“.
Der 16. September dieses Jahres war ein denkwürdiges Datum. Elf Schafe wurden an einem einzigen Tag bei Ohrdruf gerissen. In der Woche vor diesem „schwarzen Montag“rissen die Wölfe acht Schafe, in der Woche danach neun Schafe.
Wie viele Wölfe und Halbwölfe treiben sich in der Gegend herum? fragen sich die Schäfer, spätestens seit Mitte September. Sieben bis elf, sagen sie. Das ist ein Gemisch aus Gewusstem und Gerüchten, die nicht falsch sein müssen.
Offiziell gilt: Es existiert die Wölfin GW267F, die vermutlich im Mai 2014 nach Thüringen kam und von einem Fotografen, der Orchideen ablichten wollte, dokumentiert wurde. Zudem gibt es momentan fünf etwa fünf Monate alte Jungtiere, hervorgegangen aus der Paarung von GW267F mit einem ihrer Söhne, der 2017 aus ihrer Liaison mit einem Haushund entstand.
Außerdem gibt es, auf Fotofallen festgehalten, seit einigen Monaten einen jungen, echten Wolfsrüden, der sich lange Zeit in der Nähe des Rudels der Wölfin aufhielt. Inzwischen sind der zugewanderte Wolfsrüde und GW267F vermutlich ein Paar. Es wäre das erste standorttreue echte Wolfspaar in Thüringen. Das Umweltministerium teilte am Mittwochabend auf eine am Montag gestellte Anfrage vorsichtig mit: „Nunmehr ist von einer Paarbindung zwischen diesem Wolfsrüden und der Ohrdrufer Wölfin auszugehen.“
Das wäre von enormer Tragweite: Im kommenden Jahr, davon wäre auszugehen, gäbe es in Thüringen keinen unerwünschten Hybridennachwuchs mehr, sondern erstmals Nachwuchs von zwei echten Wölfen.
Aber noch laufen die Versuche, die fünf jungen Hybriden einzufangen, möglichst lebend, um sie anschließend im Bärenpark Worbis unterzubringen, wo für annähernd 100.000 Euro eigens für diese Zwecke ein ausbruchssicheres Gehege hergerichtet wurde, umgeben von einem etwa vier Meter hohen Metallzaun.
Die Bemühungen des Freistaats, die Hybriden einzufangen, verlaufen jedoch bisher erfolglos. Kein Tier wurde bisher entnommen, keines getötet, teilte das Umweltministerium mit.
Die fünf Thüringer Hybriden, Nachwuchs der Wölfin und ihres Hybridensohns von 2017, sind eine zoologische Rarität, mit der Thüringen Wolfsgeschichte schreibt: Es sind sogenannte Hybriden der zweiten Generation, in Deutschland einmalig, zumindest seit der Rückkehr der Wölfe vor 30 Jahren.
Ob aber diese sieben, von Fotofallen gut dokumentierten Wölfe alle Wölfe sind, die rund um Ohrdruf leben? Angeblich, Schäfer Meister sagt das mit aller gebotenen Vorsicht, halten sich außerdem zwei der 2017 geborenen Hybriden in der Gegend auf. Anfangs waren es sechs. 2018 wurden drei erschossen, 2019 der vierte. Wo die zwei geblieben sind, die nicht erschossen wurden, konnte bisher nicht geklärt werden.