Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
„Er wollte unsere Türen aufschießen“
In Halle tötet ein schwer bewaffneter Mann zwei Menschen. Regierung spricht von „antisemitischem Hintergrund“
Es sind schreckliche und verstörende Bilder, die offenbar mit dem Handy aufgenommen wurden: Um die Mittagszeit am Mittwoch stoppt ein Mann seinen VW Golf auf der Ludwig-wucherer-straße in Halle. Er steigt aus, stellt sich hinter das Auto und schießt die Straße entlang. Mindestens vier Mal feuert er sein Gewehr ab. Dann steigt er ein und fährt weiter.
Nur bruchstückhaft wird am Mittwoch klar, was in Halle – und in der wenige Kilometer entfernten Stadt Landsberg – passiert ist. Fakt ist: Am Ende des Tages haben zwei Menschen durch Schüsse ihr Leben verloren. Weitere liegen mit zum Teil schweren Verletzungen im Krankenhaus. Ein Verdächtiger wurde von der Polizei festgenommen. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen. Begründung: Mord von besonderer Bedeutung.
Um kurz vor 13 Uhr am Mittwochnachmittag meldet die Polizei Halle einen Großeinsatz. Schon zu diesem Zeitpunkt ist den Sicherheitsbehörden klar, dass „Personen getötet“wurden. „Täter flüchtig“, twittert die Polizei. Und: „Bitte bleiben Sie in Ihren Wohnungen oder suchen Sie sichere Orte auf.“Offiziell spricht die Polizei von einer „Amoklage“. Der Tatort, an dem der Mann aus dem Auto steigt und schießt, liegt nördlich der Altstadt von Halle. Nur rund 500 Meter entfernt befindet sich die Synagoge der Stadt. Hier feiern Gemeindemitglieder am Mittwoch Jom Kippur, das höchste jüdische Fest. Etwa 80 Personen befinden sich mittags in der Synagoge.
Nach Angaben des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, richtet sich der Angriff direkt gegen die Synagoge. „Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen“, sagt Privorozki nach dem Angriff. Die Türen hätten aber standgehalten. Der oder die Täter hätten auch versucht, das Tor des danebenliegenden jüdischen Friedhofs aufzuschießen, sagt der Vorsitzende. Später heißt es, auch Sprengsätze sollen vor der Synagoge platziert worden sein. Detonationen gab es aber nicht. Augenzeugen berichten von Granaten oder Molotowcocktails, die über die Friedhofsmauer geworfen worden sein sollen.
Durch die Schüsse vor der Synagoge stirbt dort offenbar eine zufällig vorbeikommende Frau. In einem Döner-imbiss an der Ludwig-wucherer-straße erschießen der oder die Täter einen Mann. Das deutet darauf hin, dass die Schüsse offenbar wahllos abgegeben werden. In welcher zeitlichen Abfolge die Taten geschehen sind, ist bis zunächst unklar.
Der oder die Täter sollen in der Nähe des Tatorts an der Synagoge ein
Taxi gestohlen haben und in Richtung Süden geflohen sein. Auf der Autobahn soll es einen
Unfall gegeben haben.
Einen Täter hat die Polizei angeblich am Nachmittag am Unfallort festgenommen. Er soll verwundet und im Krankenhaus notoperiert worden sein. Ein weiterer soll auf der Flucht sein. Im Taxi sollen sich Waffen befunden haben.
Der Polizeieinsatz in Halle dauert bis in den Abend. Die Einsatzkräfte suchen die Straße mit Drohnen von oben ab. Der Dönerladen wird mit Robotern durchsucht, weil Handgranaten und Feuerwerkskörper platziert worden sein könnten. Ganze Straßenzüge sind abgeriegelt.
Busse und Bahnen stellen ihren Betrieb in Halle bis zum späten Nachmittag ein. Der Hauptbahnhof der Stadt wird von mittags bis 18 Uhr gesperrt. Reporter berichten aber noch am Abend von einer fast menschenleeren Stadt und beschreiben die Situation als Ausnahmezustand. Viele Menschen können nicht in ihre Wohnungen. Um 18.15 Uhr twittert die Polizei: „Die Gefährdungslage für die Bevölkerung wird nicht mehr als akut eingestuft. Sie können wieder auf die Straße.“ Die Fotos und Videosequenzen von der Tat, die von Augenzeugen verbreitet werden, zeigen immer nur einen Täter: Er trägt eine Art dunkelgrüne Uniform und einen Helm, auf dem eine Videokamera befestigt ist. Laut „Spiegel“soll er Deutscher sein, 27 Jahre alt und aus dem Burgenlandkreis in Sachsen-anhalt stammen. Das Bundesinnenministerium sprach von einem „antisemitischen Hintergrund“. Während seines Angriffs soll der Täter über „Juden“und „Kanaken“geschimpft haben. Das soll aus dem Video hervorgehen, das er mit der Kamera an seinem Helm aufgenommen und im Internet hochgeladen hat. Auch dass die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen übernommen hat, deutet darauf hin, dass die Sicherheitsbehörden von einem Terrorattentat ausgehen.
Ein Augenzeuge, der den Tod des weiblichen Opfers vor der Synagoge beobachtet hat, beschreibt diesen Täter so: „Der war gekleidet wie ein Polizist – in totaler Kampfausrüstung, mit Helm und Schutzkleidung“. Der Mann soll bewaffnet mit Schrotflinte und Maschinengewehr bewaffnet gewesen sein.
Bei dem VW Golf, aus dem der Mann auf der Ludwig-wucherer-straße in Halle ausgestiegen ist, handelt es sich offenbar um einen Mietwagen. Zugelassen ist er in der Stadt Euskirchen in Nordrhein-westfalen. Dieses Kennzeichen wird von mehreren Mietwagenfirmen verwendet. Angeblich wurde der Wagen für die Zeit vom 7. bis 10. Oktober gemietet.