Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Das Kind, das Czesław hieß
Dorothee Schmitz-köster erzählt die Geschichte eines Mannes, der als Kind von den Nazis geraubt wurde
das war Dorothee Schmitzköster gleich klar, das Thema beschäftigt sie seit gut 25 Jahren. Sie nahm Kontakt mit der Familie auf, fand Klaus B. Sprach von ihrem Verdacht, von der Möglichkeit.
Klaus B. hatte gezögert, bis er ja sagte. Später bat er um Anonymität.
So begann eine lange Recherche, die sie immer tiefer in die Abgründe eines staatlich sanktionierten und organisierten Kinderraubs führte. Sie schrieb an Suchdienste, forschte in Archiven. Erfuhr von der Gnadenlosigkeit, mit der die Ns-behörden die Kinder aus ihren Familien rissen, sie auf „Tauglichkeit“begutachteten, wie rabiat sie die Kinder von ihren Wurzeln trennten, bis hin zum Verbot, Polnisch zu sprechen. Von der Gründlichkeit, mit der die Nazis Spuren verwischten, Namen und Geburtsdaten fälschten.
Unter den Dokumenten, die beim Internationalen Suchdienst gefunden wurden, gab es auch Nachrichten der Familie von Klaus B. Zweimal, 1949 und 1962, hatten Mutter und Großvater eine Suchanfrage gestellt. Sie hatten ihn bis zu ihrem Tod nicht vergessen, nicht aufgegeben.
Viel später, als sie die Halbgeschwister von Klaus B. in Polen traf, erfuhr sie, wie der Großvater den Jungen in einem Sack auf dem Dachboden versteckte, als die Deutschen kamen. Wie sie ihn trotzdem fanden. Wie diese Geschichte über die Jahrzehnte in der Familie weitergetragen wurde.
Als Dorothee Schmitz-köster Klaus B. von all dem berichtete, sprach er von einem Schock. Er und seine Frau hatten sich den ganzen Tag getröstet.
Ob er diese Suche bereut hat, will eine Frau aus dem Publikum von der Autorin wissen. Eine gute Frage. Vielleicht sogar eine, die dieser Geschichte einer Suche ihren Grundton gibt. Denn es ist nicht nur die einer akribischen Recherche. Es ist auch die einer Gratwanderung, auf die sich ein Journalist dabei begibt. Niemand weiß, was die Wahrheit mit der Seele macht. Weil nichts mehr korrigierbar, nichts mehr nachholbar ist.
Klaus B. hätte schon lange von seiner Identität erfahren können, Jahre nach Kriegsende gab es Befragungen in Familien mit Kindern wie ihm. Aber die Pflegeeltern hatten wieder gelogen. Auch das kam bei den Recherchen ans Licht.
Dorothee Schmitz-köster spricht vom Verlust der Ungewissheit. Man könne keine Kinder haben, wenn man nicht weiß, wo man herkommt. So hatte Klaus B. einmal ihre Frage nach Kindern beantwortet.
Nach Polen, in die Stadt in der er geboren wurde, ist Klaus B. bis heute nicht gefahren. Ein Selbstschutz, sagt die Autorin. Wer soll die Wunden heilen, die das reißt? Aber es gibt einen warmherzigen Kontakt zur polnischen Familie. Seine Halbgeschwister waren schon mehrmals bei ihm in Deutschland. Ein Schwager muss übersetzen, Sie haben ihm auch die Muttersprache gestohlen.
Niemand weiss, wie viele einstige Raubkinder bis heute nichts von ihrer wahren Herkunft wissen.
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