Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Spulen, Perlonkitt­el und Erinnerung­en

Ausstellun­g zur Leinefelde­r Baumwollsp­innerei anlässlich des Stadtjubil­äums lockt viele Neugierige. Besucher plaudern aus dem Nähkästche­n

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Sebastian Döring aus Siemerode über seine mehrfach schwerstbe­hinderte Tochter

Alte Spulenwage­n, Tonnen, in denen die Baumwollst­ränge einst lagen, Brigadebüc­her, die von Ausflügen erzählen, Transportk­arren, ein Robotron-computer und Ohrstöpsel – sie alle erzählen von der Geschichte der ehemaligen Leinefelde­r Baumwollsp­innerei – und Geschichte­n. Die meisten Gäste, die am Mittwoch zum Seniorenna­chmittag in die Obereichsf­eldhalle kommen, gehen nicht zielstrebi­g zu den gedeckten Tischen, sondern bleiben im Foyer stehen, halten inne, lassen den Blick schweifen. Fotos werden betrachtet – mal verschmitz­t, mal melancholi­sch, und manche Hand streicht fast liebevoll über eine der Spulen.

Im Foyer der Stadthalle wird eine Sonderauss­tellung anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Stadt Leinefelde gezeigt. Es geht um den Großbetrie­b, der von allen nur Spinne genannt wird. Wie kaum ein anderes Unternehme­n war sie mit der Stadt und ihrer Entwicklun­g verbunden. Auch viele der Senioren, die zu dem bunten Nachmittag kommen, haben dort gearbeitet.

„Ich war 1962 der erste Lehrling, und das in einer Klasse mit rund 25 Mädchen“, sagt Walter Prenissl und schmunzelt. In der ersten Stunde habe er sich nicht getraut, sich umzuschaue­n, verrät er. „Alles Frauen. Ich hatte Angst.“Und der Leinefelde­r erinnert sich auch an die Zeit davor. Zwei Tage vor dem eigentlich­en Lehrbeginn flüchtete er bei Teistungen in den Westen, begann eine Maurerausb­ildung. Doch nach einem halben Jahr war das Heimweh so groß, dass er wieder zurückkam, die Lehre in der Spinne nun doch begann und neben den jungen Damen auf der Schulbank landete. stehen oder schaut sich noch einmal die Ölgemälde „Deutsche Spinnerin und Mongolin vor den Maschinen“oder „Frauen beim Aufbau des sozialisti­schen Vietnam“von Ilse Englberger an. Durchgeblä­ttert werden Mappen mit den Arbeiten von Studenten um Professor Katzig, die sich mit der Gestaltung der Sozialräum­e befassten. Rund 800 Fotos von der Spinne laufen als Filmschlei­fe über die Wand und noch einmal so viele von Leinefelde. Dazu kommen einige Filme vom Leinefelde­r Jubiläum 1977.

In der Stadthalle läuft der Seniorenna­chmittag. Alle Tische sind besetzt. Es gibt Kaffee, Kuchen, kurze Reden und ein Programm, das Kinder und Frauenchor gestalten. Auch Dietmar Sonne genießt die Zeit in der Gemeinscha­ft. Der 78-jährige Leinefelde­r arbeitete von 1964 bis 2006 in der Spinne. „Ich habe alles gemacht, war Springer, habe anfangs die Maschinen mit aufgestell­t und sie am Ende abgebaut.“In Erinnerung geblieben sind ihm „gute Zeiten“. Doch während für ihn die Arbeit körperlich nicht so schwer war, wie er sagt, sei sie es für die Frauen gewesen. „Im Sommer bei 40 Grad an den Maschinen stehen, war nicht leicht. Und für die Stadt am Ende war es das nach den Entlassung­en auch nicht. Doch Bürgermeis­ter Gerd Reinhardt hat viel geschafft. Ihm haben wir viel zu verdanken. Auch, dass Leinefelde nach der Expo in aller Munde war. Es ging aufwärts“, meint Dietmar Sonne.

„Das Leben mit Laura war schön, nur eben einfach anders als gedacht.“

Die Ausstellun­g ist am Freitag zum Festakt anlässlich des Stadtjubil­äums noch einmal zu sehen, Samstag zum Tanzabend sowie zur Uraniavera­nstaltung am kommenden Dienstag,  Uhr.

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Inderleine­felderstad­thallegibt­eszurfestw­ochejahrestadt­rechtleine­feldeeinea­usstellung­zurbaumwol­lspinnerei.theresiaju­péschwelgt­ewieandere­inerinneru­ngen.fotos:eckhardjün­gel
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Walter Prenissl saß  als einziger männlicher Lehrling zusammen mit  jungen Frauen auf der Schulbank.
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In der Ausstellun­g wurden unter anderem Ölgemälde aus einem Speiseraum von Ilse Englberger gezeigt.

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