Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Der Streit um die Verantwortung
Politikwissenschaftler Patzelt: Keine unmittelbare Verursacherkette. Afd-landessprecher Möller tritt Vorwürfen entgegen
Nach dem Angriff eines Rechtsextremisten auf die Synagoge in Halle und der Tötung von zwei Menschen haben Politiker verschiedener Parteien der AFD eine Mitverantwortung für die Tat zugeschrieben. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sagte, Afd-landeschef Björn Höcke säe „genau den Ungeist, der zu dem Terrorakt von Halle geführt hat“. Von „geistigen Brandstiftern“sprach der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Linke-fraktionschefin Susanne Hennig-wellsow bezeichnete die AFD als Stichwortgeber für Taten wie in Halle. Aber kann man so weit gehen?
Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt beantwortet die Frage der Mitverantwortung mit: „Jein.“Als die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (SPD) in Köln niedergestochen worden sei, sei die allgemeine Aussage gewesen: Pegida habe mitgestochen. „Das ist natürlich irgendwo auch unsinnig“, sagt Patzelt. Andererseits, wenn es ein Klima gebe, in dem der Eindruck sich verbreite, man könne aus politischen oder sonstigen Gründen gewalttätig werden, „dann haben natürlich all jene, die nicht rechtzeitig einem solchen Klima entgegentreten, eine Mitverantwortung dafür.“Es sei nicht richtig, so eine unmittelbare Verursachungskette zu konstruieren. „Aber jeder der darauf verzichtet, habe gegen so ein Klima der Gewalttätigkeit aufzutreten, der es willentlich, stillschweigend oder fahrlässig geduldet hat, der kann sich jetzt nicht einen flinken Fuß machen und sagen, mit meinem politischen Tun hat das nichts zu tun“, so Patzelt.
In einem gestern auf seinem Internetblog veröffentlichten Beitrag ruft Patzelt auch zur verbalen Mäßigung auf. Alle sollten begreifen, „dass Mord nur das äußerste Ende einer lückenlosen Kette von Gewaltsamkeit ist, die mit verbaler Gewalt beginnt, sich in Rüpeleien fortsetzt und zu Sachbeschädigung und Körperverletzung verleitet, bevor auch der Tod des anderen zur eigenen Befriedigung führt“, schreibt der ehemalige Professor an der Technischen Universität Dresden. Zudem plädiert er für die Einsicht, „dass wir uns bereits dadurch auf den Weg zur Gewalt begeben, dass wir einen anderen nicht einfach nach Aussehen und Lebensweise, Religion oder politischen Ansichten anders ansehen, ihn auch nicht länger als legitimen Rivalen um Anhänger oder Wählerstimmen betrachten, sondern ihn mehr und mehr als einen Feind einschätzen“. Dies geschehe nicht anhand vernünftiger Kriterien, sondern gefühlsgeleitet und allzu oft zum willkommenen Zweck, sich dem Feind gegenüber als „menschlich und moralisch überlegen“darzustellen.
Suleman Malik, der Sprecher der muslimischen Ahmadiyyagemeinde in Thüringen, spricht auf Nachfrage aus der Perspektive eines Betroffenen über eine mögliche Mitverantwortung der AFD. „Ich stelle mir auch die Frage, wie ich unsere Moschee in Erfurt sichere“, sagt er. Das Gebäude wird gerade gebaut. Seither erleben Malik und die Mitglieder immer wieder Anfeindungen verbaler Natur. „Dafür liefern Menschen wie Afd-chef Björn Höcke die geistige Munition“, sagt Malik. Deshalb sei das, was in Halle passiert ist, auch nicht von heute auf morgen geschehen. „Der Staat ist in der Pflicht, religiöse Gebäude stärker zu schützen“, sagt Malik.
Der Co-vorsitzende der Thüringer AFD, Stefan Möller, bestreitet indes jede Mitverantwortung seiner Partei für das Verbrechen: „Wir haben uns stets für die Unantastbarkeit jüdischen Lebens in Deutschland stark gemacht und werden das weiterhin tun.“