Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Doppeltes Glück
Literatur-nobelpreise gehen nach Österreich und Polen: Peter Handke und Olga Tokarczuk werden für ihr Werk geehrt
Der Literaturnobelpreis für das Jahr 2019 geht an den Österreicher Peter Handke. Zugleich erhält die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk den nachgeholten Literaturnobelpreis für das Jahr 2018. Dies teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit. Damit werden in diesem Jahr zwei Europäer mit der renommierten Auszeichnung geehrt.
Handke habe sich seit seinem 1966 erschienenen Debütroman „Die Hornissen“mit Werken in verschiedenen Genres als einer der einflussreichsten Schriftsteller der europäischen Nachkriegszeit etabliert, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees der Akademie, Anders Olsson, bei der Bekanntgabe. Mit seiner Arbeit habe der 76-Jährige „mit linguistischem Einfallsreichtum die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht“.
Die 57-jährige Tokarczuk wird von den Juroren dafür ausgezeichnet, dass sie mit erzählerischer Vorstellungskraft und enzyklopädischer Leidenschaft Grenzen überschreite. Die Autorin betrachte die Wirklichkeit niemals als ein stabiles und immerwährendes Konstrukt, in ihren Romanen stünden sich oft Gegensätze gegenüber, etwa Natur und Kultur oder Mann und Frau. Ihr bislang größtes Werk ist nach Ansicht der Juroren „Ksiegi Jakubowe“(Die Jakobsbücher) aus dem Jahr 2014.
Zorn findet Peter Handke besser als Wut. Zorn wecke die kreativen Geister, Wut ließe sie nur kurz aufflammen, bekannte der Schriftsteller einmal. Handke, 1942 in dem kleinen Ort Griffen im österreichischen Bundesland Kärnten geboren, war selbst Ziel wütender Attacken. Bei der Vergabe des Ibsen-preises in Norwegen wurde er vor einigen Jahren von Bosniern und Albanern wüst beschimpft. Seine Kritiker haben ihm seine Haltung im Balkan-konflikt nicht verziehen. Handke stand auf der Seite Serbiens, verurteilte die Nato für ihre Luftschläge und hielt 2006 bei der Beerdigung des jugoslawischen Ex-diktators Slobodan Milosevic eine Rede.
2006 lehnte Handke den Heinrichheine-preis ab, weil die Verleihung an ihn Diskussionen ausgelöst hatte, ob er durch seine proserbische Haltung den Preis überhaupt verdiene. Schon 1996 sorgte sein Reisebericht „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“für heftige Debatten.
Mit seiner poetischen Sprache und angesichts des Umfangs seines Werks ist Handke, der in der Nähe von Paris lebt, wohl der wichtigste und prominenteste lebende österreichische Schriftsteller. Über 11.400 Seiten enthält die vom Suhrkampverlag herausgegebene „Handke Bibliothek“, in der alles enthalten ist, was er jemals in Buchform veröffentlicht hat.
Mit seinen mehr als 20 Stücken hat Handke Theatergeschichte geschrieben. 2011 sorgte die fünfstündige Uraufführung von „Immer noch Sturm“bei den Salzburger Festspielen über den Freiheitskampf der Kärntner Slowenen für Aufsehen. Weggefährte Claus Peymann inszenierte 2016 am Wiener Burgtheater Handkes „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“. Handke, der gern mit sich und der Welt haderte, verstört und fordert sein Publikum.
Olga Tokarczuk, die nachträglich geehrte Preisträgerin 2018, zählt zu den bekanntesten polnischen Autorinnen ihrer Generation und setzt sich entschieden gegen Fremdenhass ein. Dabei scheut sie vor Kritik an ihrer Heimat nicht zurück.
Fast sieben Jahre schrieb Tokarczuk an ihrem jüngsten Roman „Die Bücher Jakobs“. Als er erschien, traf sie damit den Nerv der Zeit. Das Buch sei angesichts der Migrationskrise hochaktuell, loben Kritiker das Werk über die multikulturelle Geschichte des heute katholisch geprägten Polens. Es ist nun auch in deutscher Übersetzung erschienen.
Seit rund 30 Jahren veröffentlicht Olga Tokarczuk, die in Sulechow bei Zielona Gora (Grünberg) geboren wurde, Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke führen den Leser oft in ein Reich zwischen Mythen und Realität. Auch im Ausland machte sich die Polin längst einen Namen. Viele ihrer Romane, darunter „Ur und andere Zeiten“(1996) und „Gesang der Fledermäuse“(2011), wurden ins Deutsche übersetzt.
Beide Preisträger erhalten am 10. Dezember in Stockholm neben der Nobelmedaille jeweils neun Millionen schwedische Kronen (etwa 830.000 Euro). (dpa/fqu)