Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Duell der Gegensätze
Bremen gegen Heidenheim: Selten waren bei einem Relegationsspiel die Voraussetzungen so ungleich
Das Liedgut im Bremer Weserstadion hat sich auch in Coronazeiten nicht geändert. Irgendetwas muss ja an die vertrauten Abläufe erinnern, wobei die gängigen Ohrwürmer vor leeren Rängen eine andere Akustik entfalten. Wenn kurz vor Anpfiff Jan Delay mit „Grünweiße Liebe“gespielt wird, sind Passagen zu verstehen, die sonst im Gedröhne untergehen. Der bekennende Werder-fan besingt einen Verein, der keine coolen Stars mit tollen Frisuren habe und nicht an der Börse notiert sei. „Das alles haben wir nicht. Vor allem keine Knete. Wir haben den Regen im Gesicht. Aber die Sonne in der Seele.“
Das klingt alles ganz schön, ist aber für die Relegationsspiele von Werder Bremen gegen den 1. FC Heidenheim (heute 20.30 Uhr/ Rückspiel am Montag) vollkommen irreführend. Denn die Außenseiterrolle kann ob der wirtschaftlichen und strukturellen Voraussetzungen allein der Zweitligist beanspruchen. Der Kader des Bundesliga-drittletzten hat einen Marktwert von knapp 134 Millionen Euro, der des Zweitliga-dritten steht bei nicht mal 19 Millionen. Werders bester Spieler Milot Rashica ist 13 Mal so viel wert wie Heidenheims teuerster Profi Tim Kleindienst. Die Heidenheimer Oliver Hüsing, Norman Theuerkauf, Marnon Busch und Patrick Mainka waren alle mal bei Werder, nur keiner jemals Bundesliga-stammspieler. Seit Wiedereinführung
der Entscheidungsspiele 2009 schienen die Voraussetzungen nicht so ungleich. Der Goliath kommt von der Weser, der David von der schwäbischen Ostalb.
Die Gegensätze wirken noch krasser als bei der letztjährigen Relegation zwischen Stuttgart und Union Berlin, als den Eisernen die Überraschung gelang. Zuvor hatten sich nur Nürnberg (2009 gegen
Cottbus) und Fortuna Düsseldorf (2012 gegen Hertha ) als Zweitligist durchgesetzt. Und gerade erst hat Heidenheims Vorstandschef Holger Sanwald in der „FAZ“gesagt: „Die Zielsetzung Erste Bundesliga kann es in Heidenheim nicht geben, dafür sind wir nicht aufgestellt.“Für ihn sei es schon ein Traum, ans Tor zur Bundesliga zu klopfen, so hörbar wie nie, „aber das ist kein Ziel, auf das wir ständig hinarbeiten“.
Wer einmal Heidenheim mit rund 50.000 Einwohnern und dem nur 15.000 Zuschauer fassenden Stadion besucht hat, kann nur bestätigen: Das Städtchen an der Brenz unweit der A7, noch 33 Kilometer von Ulm entfernt, gilt vielen wie die Standorte Sandhausen oder Aue als Synonym für das provinzielle Ambiente der zweiten Liga. Gewiss nicht unsympathisch, aber nicht unbedingt für den Städtekampf im Oberhaus gemacht.
Bremen hingegen ist ungeachtet aller Standortnachteile immer noch ein stolzes, eigenes Bundesland – und seit 56 Jahren mit einer einzigen Unterbrechung immer Bundesligist. Hier stehen die Trophäen von vier Meisterschaften, sechs Pokalsiegen und einem Europacuptriumph in der Vitrine – dort gab es nur eine Drittliga-meisterschaft 2014 zu feiern. Der eine Relegationsteilnehmer ist ganz auf die Bundesliga und der andere allein auf die zweite Liga gepolt.
Bremens Vorstandschef Klaus Filbry bleibt trotzdem wachsam wie sorgenvoll. Die „Kombination Abstiegskampf und Corona“sei die größte Herausforderung seiner Amtszeit gewesen, beteuert der Geschäftsführer. Trotzdem verlangt der Klubchef, „die zwei Matchbälle“zu verwandeln. Das lockere 4:1 im Dfb-pokal gegen Heidenheim im Herbst vergangenen Jahres kann aus verschiedenen Gründen kein Gradmesser sein, auch wenn die damals gezeigte Spielfreude offenbar zurückgekehrt ist, wie das 6:1 gegen den 1. FC Köln belegte. Bei Wirten wie Fernando Guerrero aus der Kultkneipe „Eisen“mitten im Viertel dröhnte danach immer wieder der Song durchs offene Fenster, in dem Jan Delay die bremische Bescheidenheit besingt.