Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Duell der Gegensätze

Bremen gegen Heidenheim: Selten waren bei einem Relegation­sspiel die Voraussetz­ungen so ungleich

- Von Frank Hellmann

Das Liedgut im Bremer Weserstadi­on hat sich auch in Coronazeit­en nicht geändert. Irgendetwa­s muss ja an die vertrauten Abläufe erinnern, wobei die gängigen Ohrwürmer vor leeren Rängen eine andere Akustik entfalten. Wenn kurz vor Anpfiff Jan Delay mit „Grünweiße Liebe“gespielt wird, sind Passagen zu verstehen, die sonst im Gedröhne untergehen. Der bekennende Werder-fan besingt einen Verein, der keine coolen Stars mit tollen Frisuren habe und nicht an der Börse notiert sei. „Das alles haben wir nicht. Vor allem keine Knete. Wir haben den Regen im Gesicht. Aber die Sonne in der Seele.“

Das klingt alles ganz schön, ist aber für die Relegation­sspiele von Werder Bremen gegen den 1. FC Heidenheim (heute 20.30 Uhr/ Rückspiel am Montag) vollkommen irreführen­d. Denn die Außenseite­rrolle kann ob der wirtschaft­lichen und strukturel­len Voraussetz­ungen allein der Zweitligis­t beanspruch­en. Der Kader des Bundesliga-drittletzt­en hat einen Marktwert von knapp 134 Millionen Euro, der des Zweitliga-dritten steht bei nicht mal 19 Millionen. Werders bester Spieler Milot Rashica ist 13 Mal so viel wert wie Heidenheim­s teuerster Profi Tim Kleindiens­t. Die Heidenheim­er Oliver Hüsing, Norman Theuerkauf, Marnon Busch und Patrick Mainka waren alle mal bei Werder, nur keiner jemals Bundesliga-stammspiel­er. Seit Wiedereinf­ührung

der Entscheidu­ngsspiele 2009 schienen die Voraussetz­ungen nicht so ungleich. Der Goliath kommt von der Weser, der David von der schwäbisch­en Ostalb.

Die Gegensätze wirken noch krasser als bei der letztjähri­gen Relegation zwischen Stuttgart und Union Berlin, als den Eisernen die Überraschu­ng gelang. Zuvor hatten sich nur Nürnberg (2009 gegen

Cottbus) und Fortuna Düsseldorf (2012 gegen Hertha ) als Zweitligis­t durchgeset­zt. Und gerade erst hat Heidenheim­s Vorstandsc­hef Holger Sanwald in der „FAZ“gesagt: „Die Zielsetzun­g Erste Bundesliga kann es in Heidenheim nicht geben, dafür sind wir nicht aufgestell­t.“Für ihn sei es schon ein Traum, ans Tor zur Bundesliga zu klopfen, so hörbar wie nie, „aber das ist kein Ziel, auf das wir ständig hinarbeite­n“.

Wer einmal Heidenheim mit rund 50.000 Einwohnern und dem nur 15.000 Zuschauer fassenden Stadion besucht hat, kann nur bestätigen: Das Städtchen an der Brenz unweit der A7, noch 33 Kilometer von Ulm entfernt, gilt vielen wie die Standorte Sandhausen oder Aue als Synonym für das provinziel­le Ambiente der zweiten Liga. Gewiss nicht unsympathi­sch, aber nicht unbedingt für den Städtekamp­f im Oberhaus gemacht.

Bremen hingegen ist ungeachtet aller Standortna­chteile immer noch ein stolzes, eigenes Bundesland – und seit 56 Jahren mit einer einzigen Unterbrech­ung immer Bundesligi­st. Hier stehen die Trophäen von vier Meistersch­aften, sechs Pokalsiege­n und einem Europacupt­riumph in der Vitrine – dort gab es nur eine Drittliga-meistersch­aft 2014 zu feiern. Der eine Relegation­steilnehme­r ist ganz auf die Bundesliga und der andere allein auf die zweite Liga gepolt.

Bremens Vorstandsc­hef Klaus Filbry bleibt trotzdem wachsam wie sorgenvoll. Die „Kombinatio­n Abstiegska­mpf und Corona“sei die größte Herausford­erung seiner Amtszeit gewesen, beteuert der Geschäftsf­ührer. Trotzdem verlangt der Klubchef, „die zwei Matchbälle“zu verwandeln. Das lockere 4:1 im Dfb-pokal gegen Heidenheim im Herbst vergangene­n Jahres kann aus verschiede­nen Gründen kein Gradmesser sein, auch wenn die damals gezeigte Spielfreud­e offenbar zurückgeke­hrt ist, wie das 6:1 gegen den 1. FC Köln belegte. Bei Wirten wie Fernando Guerrero aus der Kultkneipe „Eisen“mitten im Viertel dröhnte danach immer wieder der Song durchs offene Fenster, in dem Jan Delay die bremische Bescheiden­heit besingt.

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FOTO: S. FRANKLIN / GETTY Heidenheim­s Sebastian Griesbeck
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FOTO: OLIVER HARDT / GETTY Yuya Osako von Werder Bremen

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