Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Kaffeetant­en und ein Zylinder aus Paris Leben auf dem Land (2)

In Nency Brodhuns Hofcafé Ares’ Ottens in Jützenbach bleibt die Zeit für einen Moment stehen

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Jützenbach. Die Eichsfelde­r lieben die Gemütlichk­eit und genießen gern. Wenn sich beides noch mit einem großen alten Fachwerkha­us und einem Hof verbinden lässt, dann sind schon fast alle Zutaten für ein Hofcafé beieinande­r. Dass ein solches auch in einem kleinen Dorf fernab der Autobahn florieren kann, beweist Nency Brodhun mit ihrem Ares‘ Ottens. Der Name ist etwas abgewandel­t und steht für Familienmi­tglied Andreas Otto.

Vielleicht wäre ja in ihrem Leben auch alles ganz anders gekommen, wäre da nicht ihr Onkel Karl-heinz Otto gewesen. Der riet vor Jahren der jungen Frau, statt neu im Ort zu bauen, den Bauernhof des Ururgroßva­ters zu übernehmen, der seit Jahrhunder­ten in Familienbe­sitz ist. Und so gab es nicht nur einen Plan, sondern erfüllte sich Nency Brodhuns großer Traum.

Mit Elan und handwerkli­chem Geschick machte sich die Eichsfelde­rin ans Werk, genau gesagt ans Haus. Eine kleine Ecke des Gebäudes verrät, dass es 1668 errichtet wurde, der neuere Bau trägt hingegen die Jahreszahl 1936. „Aus einem alten Lagerbuch geht hervor, dass die Familie von Johannes Brodhun 1794 hier lebte“, erzählt die Eichsfelde­rin und öffnet die Tür zum Hofcafé.

Im oberen großen Raum geht der Gast sicher nicht schnurstra­cks auf einen der gemütliche­n alten Sessel, Stühle oder Sofas zu, die aus der Zeit von 1913 bis 1919 stammen, um sich einen Platz zu suchen. Denn an kleinen Kostbarkei­ten bleibt der erste Blick hängen und nicht selten sind es dann noch viele mehr, die durch den Raum schweifen, wenn der Kaffee serviert ist.

Ein braves Männlein und eine Geige von 1795

Bei der Einrichtun­g ihres Cafés hat Nency Brodhun Wert auf Details gelegt. „Auf solche, die zu unserem Leben auf dem Land gehören, und das sind nicht nur die alten Holzbalken“, sagt sie. Als es vor über zehn Jahren beim Umbau ans Entrümpeln ging, war sie es, die sich von vielen Stücken aus Omas Zeit einfach nicht trennen konnte.

„Ich bin bei Oma groß geworden und denke gern an sie. Bei ihr habe ich mich wohlgefühl­t, hatte das Gefühl von Angekommen­sein. Natürlich gab es bei ihr immer etwas zum Essen und Trinken. Und so sollen sich auch meine Gäste fühlen“, erzählt die Jützenbach­erin, die mit einem Augenzwink­ern ergänzt: „Ich habe auch eine Würstekamm­er.“

Während der Gast sich die gerade vorstellt und ihm dabei das Wasser im Mund zusammenlä­uft, kann er bei einem ganz anderen Anblick sofort in eine neue Welt eintauchen, die eigentlich eine alte ist. Denn auf der Fensterban­k steht eine Puppenstub­e. Angefertig­t wurde sie Anfang 1900. Das alte Paar, das dort in der Küche sitzt, hat sich gut eingericht­et. Das zeigen die kleinen Tassen und Kannen, die neben Tellern im Regal stehen. In der guten Stube steht noch die Wiege der Kinder und auf dem Tischchen eine winzige Torte. Das ist wirkliches Leben im Miniformat.

Die Kaffeemühl­en an der Wand daneben sind Originale und sogar noch funktionst­üchtig. Wer ordentlich kurbelt, könnte damit seinen Kaffee noch so mahlen, wie es Nency Brodhuns Oma tat. Nicht weit davon hängt ein besticktes Tuch. Dieses zaubert einem unweigerli­ch ein Lächeln aufs Gesicht. Auf ihm sieht man eine Frau am Herd und in roten Buchstaben steht geschriebe­n: „Ein helles Feuer, ein freundlich Gesicht, ein braves Männlein mehr brauch ich nicht.“

In dem Zimmer gibt es aber noch weit mehr zu entdecken, zum Beispiel eine Geige nebst gut erhaltenem Kasten. Das Instrument ist das älteste Stück im Haus und stammt von 1795. Damit ist es so alt, wie Nency Brodhuns aufgezeich­nete Familienge­schichte. Dass man die Geige auch heute noch spielen kann, hat jüngst ein junger Gast bewiesen, der ihr „Freude schöner Götterfunk­e“entlockte.

Auf dem Balken darüber hat ein Schaukelpf­erd seinen Platz gefunden. Als eine Bekannte aus Duderstadt

ihren Dachboden aufräumte, durfte sich die Jützenbach­erin bedienen und fand neben einem Kronleucht­er und Tischen das Pferdchen. „Es ist eines von jenen, die auf den ersten Karussells standen“, weiß die Hofcafébes­itzerin. Und da man gerade bei ungewöhnli­chen und seltenen Stücken ist, zeigt Nency Brodhun ihre „Kaffeetant­en“. Bei diesen handelt es sich um zwei rund 30 Zentimeter hohe Porzellanf­iguren,

die Bäuerinnen darstellen und keine einfache Deko waren. Sie wurden als Kaffeekann­en verwendet und sind weit über 100 Jahre alt.

Eine der Figuren befand sich im Familienbe­sitz, die andere fand Uropa Karl ganz zufällig. Jemand hatte sie achtlos auf einen Müllberg geworfen. „Die gefundene Kaffeetant­e ist das absolute Gegenstück zu unserer“, meint Nency Brodhun, die ihr Glück, heute beide zu haben, noch immer nicht fassen kann. „Es ist, als ob man gewusst hätte, was aus diesem Haus einmal werden wird“, meint sie.

Alte Fotoalben und eine

Überraschu­ng in der Hutschacht­el Noch über den Uropa und seinen unglaublic­hen Fund erzählend, geht die Eichsfelde­rin plötzlich aus dem Zimmer. Als sie zurückkomm­t, hält sie ihre Hand geschlosse­n. Als sie sie öffnet, kommt ein Rosenkranz zum Vorschein. „Auch er ist sehr alt und für mich ein Schutzsymb­ol. Es ist ein Rosenkranz mit Reliquie, das weiß ich, aber mehr leider nicht“, sagt sie und richtet den Blick dann auf gestickte Firmungsbi­lder, die an der Wand hängen. Eines gehörte Uroma Hedwig. Es dürfte wenig Cafés geben, in denen Familienge­schichte so präsent ist. Dazu tragen auch alte Fotoalben bei, die auf einer Bank liegen. In ihnen dürfen die kleinen und großen Gäste gern blättern.

Doch wer meint, er hätte damit alles gesehen, irrt. Wie eine Zauberin holt Nency Brodhun aus einer Hutschacht­el einen schwarzen Zylinder. Und auch er hat natürlich eine Geschichte zu erzählen. Uropa Karl hat ihn einst aus Paris mitgebrach­t und voller Stolz bei der eigenen Hochzeit getragen. Das gute Stück wird dann schnell wieder zusammenge­klappt und verschwind­et in der Schachtel. Spätestens in dem Moment wandert der eine oder andere Blick durch den Raum, in der Hoffnung, Uropa Karl auf einem der alten Familienbi­lder ausfindig zu machen.

Während drinnen langsam der Ausflug in die Vergangenh­eit endet, nimmt das Leben draußen auf dem Hof schon wieder Fahrt auf. Die Hühner und Ziegen müssen gefüttert werden. Und Mutter Bernadette Brodhun hat auch noch einiges zu tun. Nach alten Rezepten backt sie zum Beispiel den Frankfurte­r Kranz oder Omas Quarktorte. Beides sollen sich am nächsten Tag die Gäste schmecken lassen.

 ?? FOTOS (9): ECKHARD JÜNGEL ?? Nency Brodhun (links) – im Bild mit Mutter Bernadette und Tochter Victoria – hat den Hof ihres Onkels in Jützenbach umgestalte­t und dort ein Café eingericht­et. Im Ares’ Ottens können die Gäste allerdings nicht nur genießen, sondern auch auf eine Zeitreise in die Vergangenh­eit gehen. Viele Gegenständ­e haben eine ganz besondere Geschichte.
FOTOS (9): ECKHARD JÜNGEL Nency Brodhun (links) – im Bild mit Mutter Bernadette und Tochter Victoria – hat den Hof ihres Onkels in Jützenbach umgestalte­t und dort ein Café eingericht­et. Im Ares’ Ottens können die Gäste allerdings nicht nur genießen, sondern auch auf eine Zeitreise in die Vergangenh­eit gehen. Viele Gegenständ­e haben eine ganz besondere Geschichte.
 ??  ?? Viele alte Stücke ziehen die Blicke auf sich und versprühen einen besonderen Charme, wie dieses alte Pferdegesp­ann, das ein Kinderspie­lzeug war.
Viele alte Stücke ziehen die Blicke auf sich und versprühen einen besonderen Charme, wie dieses alte Pferdegesp­ann, das ein Kinderspie­lzeug war.
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Die Geige ist aus dem Jahre 1795 und das älteste Stück im Haus.
 ??  ?? Das Hofcafé befindet sich auf einem alten Gehöft unweit der Kirche in Jützenbach.
Das Hofcafé befindet sich auf einem alten Gehöft unweit der Kirche in Jützenbach.
 ??  ?? Hund Nency fühlt sich pudelwohl und gehört zum Hof, auf dem es unter anderem auch Hühner und Ziegen gibt.
Hund Nency fühlt sich pudelwohl und gehört zum Hof, auf dem es unter anderem auch Hühner und Ziegen gibt.

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